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Ich war es nicht, der diesem Schrecken standhielt. Ich zog mich in den Schlaf zurück, dorthin, wo die Pest nur in Kleidern kommt, in die Ewigkeit gewoben ist. Es nützt wohl nichts, sich in den Schlaf zu flüchten, weil in ihn hinein der Schrecken trotzdem steigt. Doch nicht der Schrecken ist die Pest; sie tötet nur und siegt. Der Schrecken bringt den Schmerz, verborgen noch in der ersten Lähmung, so dass wir ihn nicht scheuchen können. Zieht die Lähmung sich zurück, lautlos, heimlich fast, nimmt der Schmerz von uns Besitz. Und Schrecken nur, den wir selber tun, kann ihn wieder von uns tragen, so dass er sich verbreitet wie die Pest, Um schliesslich wieder in unsere Stube zu treten, ungebeten und mit neuer Lähmung, mit neuem Schmerz, den wir mit neuem schrecklichen Tun von uns jagen.
Aus dem Erschrecken vor dem Nichts erwächst die Kultur. Aber nicht der Einzelne, nicht das «Ich» des Einzelnen bringt die Kultur hervor, sondern eine Gemeinschaft. Der Einzelne kann sich in einen Traum zurückziehen, kann einen Traum träumen, in den Ewigkeit, das Unmöglich-Scheinende, gewoben ist. Doch die Kultur, das Wachsen einer neuen Welt, scheint darin nicht zu seinem Recht zu kommen. Die Bedrohung bleibt.
Eine chassdiische Legende spricht davon, dass nicht der Einzelne gerecht sein kann, sondern nur eine Gemeinschaft. Die Grundlage der Gemeinschaft ist aber stets die Begegnung - ja, Gemeinschaft ist nichts anderes als die Sammlung von Begegnungen. Die Massstäbe der Sammlung mögen zwar verschieden sein, und es werden daraus verschiedene Kulturen entstehen; die Grundform der Begegnung bleibt sich aber gleich.
Die Begegnung vermittelt die Weisen der Bedrohungsgefühle des Einzelnen. Aus dem Austausch, dem Gespräch, erwächst dann Kultur. In jeder Begegnung tobt der Kampf mit dem Nichts. Es ist auch der Kampf des Fressens oder Gefressenwerdens; darunter aber geschieht das
Eigentliche. Unser Herz ist fast gelähmt im Schrecken vor dem Nichts und wünschte sich nichts mehr, als dass etwas erwachse und erblühe :
Freundschaft, Erfolg, Glück und Liebe. Ja, es ist wie in einer Liebesbeziehung, der dann auch ein Kind erwachsen soll. Doch mit wieviel Schmerz ist diese Geburt doch trächtig! Ertragen wir diesen Schmerz nicht und brechen die Geburt ab, stirbt das neue Leben.
In der Lähmung, der Erstarrung, die uns überfällt, wenn uns das Nichts im Würgegriff hält, ist der Schmerz bereits verborgen, der uns ins neue Leben bringt. Er ist unsere eigene Identität, die sich zuerst leise und dann immer lauter meldet, um gehört zu sein und das dumpfe, taube Dasein der Betäubung zu vertreiben.
Der Schrecken vor dem Nichts weckt uns auf aus der lethargischen Lebenserstarrung, und nur, wenn wir diese Störung aus unserem « Schlaf des Gerechten» nicht ertragen wollen, geben wir den Schrecken in der Begegnung einfach weiter, ohne dass er Schmerz und Kind geworden ist.
So verbreitet sich die Pest in der ganzen Welt.

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