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Berlin September 1995
 

Ein lautes Schweigen hat mich erfasst. So auffällig kann man nichts sagen. Neben dem eigenen Vater hergehen durch die tristen, aufgerissenen Strassen, an den in Baugerüsten verpuppten Häusern vorbei. "Es gibt noch viel zu renovieren". Die Mutter hat immer den Blick für das, was getan werden muss. Alisha hängt in einem Beutel vor meinem Bauch und schläft. 21 Tage ist sie alt. Das Kamel trägt sie durch die sonntäglich bevölkerte Pracht. Schmetterlinge kurven im warmen Sonnenlicht. Über den Steg beim Bodemuseum betreten wir den Flohmarkt. Ein Gewimmel von Leuten. Sie rieseln wie Sandkörner den Ständen entlang. Alles alte Bücher. Die Überlebenden. Das Alte ist ein Faszinosum. Erinnerungsarbeit. Drei Generationen. Tradition zu kaufen. Gekauft, gehasst, verkauft, fortgeworfen, vermisst, geliebt, gekauft. Jeder Umgang verdünnt. Erinnerungen halten die Dinge am Leben. Wenn sie abbrechen, verschwinden sie. Thomas sagt : "Der Wal kann nicht aussterben solange es das Wort Wal noch gibt". Das ist die Kraft der Erinnerung, die Macht des Mythos. Ein Wort ist noch übriggeblieben und in ihm hat sich das Leben ein letztes Kistchen geschaffen, für die ungewisse Überfahrt, um über das grosse Wasser der Flut zu treiben, bis aus ihm eine Taube ausgesendet wird und sie wieder Land findet, wo das Verpuppte in der Worthülle wieder ausschlüpfen kann. Alte Bücher haben etwas Flehendes, wie die Frau an der Anklamerstrasse. Diese zerfurchte, verdörrte, verblichene Greisin, die den ganzen Tag am Fenster steht und das Vorbeigehen bestaunt. Es ist unglaublich, dass es für sie auch ein Heute geben soll. Ein Jetzt. Dass das Fenster noch offen ist. So seh ich meinen Grossvater, wie er am Fenster sitzt und über den Garten vor dem Haus auf die Strasse schaut und zum Rössli hinüber. Wer geht da ein und aus? Woher kommt der Bus mit den Ländlerfreunden, die ihre Kinder in das kleine Tufertschwiler Dineyland schicken. Auf der Wiese, wo früher Zwetschgenbäume standen, wurde eine Eisenbahnschiene verlegt. Eine Schauckel, ein Plastikkrabbelrohr. Die ganze Peinlichkeit des Lebens beschaute sich mein Grossvater. Staunen über den Gang der Welt, dass sich das Dorf so verändern konnte. Die Katholiken gehen jetzt mit den Reformierten in die Schule. Heubergers Sekzeugnis hat mein Vater zerrissen. Im Alter von 66 Jahren. Beim Zügeln sei es ihm in die Hände gekommen. Das hätte ihn so aufgeregt, dass er es zerriss. Er war der einzige Reformierte in der Sekundarschule. Heuberger hat ihm immer wieder vorgehalten, was das für eine Schweinerei der Reformierten sei, all die Bilder zu zerstlören und aus den Kirchen zu nehmen. "Was konnte ich dafür, war ich dafür verantwoprtlich" sagte mein vaetr gestern. Die Katholiken haben ale Stechpalmen in den Wäldern abgeschnitten für den palmsonntag und über die Jobnscshwiler erzählte man unter sich die Geschichte von den Maienkäfern. Eines tages häten sich die Jonschwiler entschieden, alle Maienkäfer einzusameln. Ale Bewohner schärmten mit Kesseln und Gläsern aus. Sie schüttelen die vollgefressenen Käfer von den Bäumen. Dann schüttete man sie in ein grosses Holzfass. das Holzfass wurde in die Kirche gebracht. Da hat der Pfarrer die Maienkäfer zum Tode verurteilt. Dann brachte man das verschlossene fas zum Jonschwiler felsen und warf es über den Abgrund in die Thur hinuter. Da schlug das fas aber auf einen felsen auf, zerbrach und alle Käfer flogen davon.Für ein Krähenei zahlte die gemeinde 20 rappen für ein paar Krähenfüsse 50 Rapen. Die Scherrers seien besonders schiesswütige Kerle gewesen. Sie häten jeweils alötes Brot mit Schnaps getränkt und auf die Felder geworfen. Die Krähe wurden betrunken. Man konnte sie dann von hand einsammeln, totschlagen und ihre Füsse zur Gemeinde bringen. Weshalb die Krähen so verhast waren konnte mein vater nicht sagen.Alles alte Geschichten. Heute steht in Tuferschwil eine Schaukäserei. Ein Alpendisneyland der Eigenmanns hat sich auf die grosse Wiese unterhalb des Hauses meiner Grosseltern ausgebreitet. Da kommen jetzt die Städter mit Bussen. Die Büsser kommen. Das Bauernleben wird da vorgeführt. Eine Kuh, ein Bauer, ein Käser, ein Schweinestal. Alles nur Theater. gegen Eintritt. Sei nich traurig Grossvater. Du hast nichts falsch gemacht. Dein lebendiges Gesicht und selbst die heute zum Kitsch vergärte Mühsal Deines Lebens ist bis nach Berlin gekommen. Und selbst da gibt es noch Wiesen, wie Du sie noch kanntest.Deine Urenkelin ist 21 tage alt. Ja, Grosi, Deine gütigen Augen und deine warmen, roten Wangen glühen noch heute. Und der Bräker Ulrich steht daneben und sagt :"Alles wie gehabt, Nur die Bühnenbilder haben etwas gewechselt." Wie kann man heute noch Bauer sein? Meine Kühe fliegen. Bauer bin ich nicht. Eher Hirte.Ein Stadthirte. Meine Kühe sind die Schmetterlinge. Ich lebe von dem, was sie mir geben. Seelenmilch. Daraus mach ich Rahm und Butter und Käse. Weshalb hat das niemand gemerkt? Das ist doch nicht schwer, sowas zu sehen. Das Idyll des Waldes im Winter, in welchem ich Dir al Knobli helfen durfte, Fallholz zusammenzuschlepen, auus dem Du die Büscheli für den Winter machtest. Das Idyll ist noch da. Es trügt nicht in meinem Herzen. Da nicht. Mir scheint, dass Deine Sehnsüchte mit mir mitgekommen sind. Kannst Du verstehen, dass ich schweige? So unnütz wie mein Tun in dieser Welt scheint. Als meine Eltern mein Atelier besichtuigten, wagte ich kaum von all den Dingen zu erzählen, an denen ich denke, die ich da hüte. Und von meinem Käse, dem Mekonium, das ich als Stadthirte meiner fliegenden Kühe von der Wiese terschüttelt habe zu einem Nichts mit Etikett. Wie kann da in solchen Fläschchen etwas drin sein, wenn doch nichts drin ist für diese Welt? Wie sag ich's meinen Eltern?

Mit dieser Stadt habe ich doch nichts zu tun. Nur mit dieser Wiese gleich neben meinem Haus. Man muss das zuerst mal merken. Hab ja auch gedacht ich sei hiergekommen, wegen der Stadt, wegen der Galerien, wegen der Kulturmetropole, weil ich dachte, dass da ein Einkommen für Azita und mich und jetzt für Alisha zu erhalten sei. Nun aber merk ich, dass mein Einkommen von dieser Wiese kommt, auf der die Hunde scheissen, wo in einem Versteck zwischen Brennesseln die Penner auf der Flucht übernachten, wo die leergetrunkenen Bierflaschen liegen, die weggeworfenen Schuhe und Kleider, Bretter. Der ganze urbane Kompost auf dem Acker des Unnützen. Da bin ich Hirte. Und ch kämpfe dafür, meine Aufgabe ernst zu nehmen, wenn alle lachen. Das Gefühl kennst Du sicher auch. Und mein vater het mir mal eine Szene beschrieben. Deine Frau musste arbeiten gehen in Bütschwil in einmer Stickerei. Grosi ist zu Fuss von Tuferstchwil zu Fuss nach Lütisburg gegangen. Und mein Vater sass als kleiner Junge auf der Treppe vor der Eingangstüre des "Grüebli"-Hauses und hat gewartet bis sie abends nach hause kam, zu Dir und Euren sechs Kindern. Du kennst das Gefühl, alles zu geben an Deinem Platz und nicht zu schauen, was man dafür erhält. Auch wenn keine Kuh mer Dir gehörte, sie gehörten alle den fetten Viehhändlern, die sich in Lichtensteig am Markt trafen und bündelweise Geld im Sack hatten. Du kennst das Gefühl, dass Deine Kinder in die Stadt gingen, dass meine Eltern mich da in Zürich Daniel tauften und nicht Heinrich. Ja, der Daniel, den Du kanntest, war vielleicht ein Schlufi, er war reich und fiel von seinem Pferdewagen und wurde arm und nicht mehr gesund. Und schau, ich bin vielleicht auch ein Schlufi und auch vom Charre gheit, aber man kann die Wiesen nicht hassen, weil sie einem nicht das geben, was man für sein Leben braucht. Die Wiese kommt zurück und hilft dann, wenn Du sie wirklich brauchst, dann, wenn sie niemand mehr will, wenn sie niemand mehr braucht, wenn sie aufgegeben ist, unnützer bracher Boden. Genau dann kommt sie wieder. Mitten in Berlin. Und da wächst jetzt der stolze Heinrich (Natterwurz). Für Dich war dieser stolze Heinrich noch ein Unkraut, das deine Kühe gemieden haben. Meinen Kühen aber dient der stolze Heinrich als himmlisches Futter. Das ist mein Stolz, wenn ich respektvoll an Dich denke.

 

 
 

Copyright: Daniel Ambühl  Steintisch Verlag Zürich

 

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