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GESCHICHTE
Die Zeit des Faschismus...
Da vor allem die obere Ackerstraße mitten im proletarischen
Wohnviertel des Wedding lag, kam es hier in der Zeit ab 1929 auch zu verstärkten
Zusammenstößen zwischen den Nazis und Antifaschisten. Am Anfang galt das
Gebiet mit den großen Industrie-Betrieben noch als "Roter Wedding",
aber es zeigte sich bald, dass das mehr Wunschdenken war und vielleicht im
Vergleich mit anderen Stadtbezirken seine Berechtigung hatte. Aber so rot
war der Wedding nicht, denn die Nazis hatten auch um die Gegend der
Ackerstraße herum durchaus schon Wurzeln geschlagen.
Der erste Weddinger SA-Sturm existierte bereits 1926 und nur wenige
Schritte östlich der Ackerstraße, in der Usedomer Straße 9, befand sich
ihr großes SA-Sturmlokal. Im größten Industriebetrieb der Gegend, bei
der AEG, waren die Kommunisten und Sozialdemokraten von den organisierten
Arbeitern zwar sicher in der Mehrzahl - aber die einzigen waren sie nicht.
Vielleicht lag es an den Versprechungen der Nazis, dass gerade auch in
dieser Arme-Leute-Gegend viele Menschen ihre Hoffnungen in Adolf Hitler
setzten, der immerhin nicht nur vage zukünftigen Wohlstand und Arbeit
versprach, sondern seine Leute - vor allem die SA-Männer - offensichtlich
auch einkleiden und gut ausrüsten konnte.
Begonnen
haben die Zusammenstöße auf der Straße etwa 1929. Im Wedding gab es
damals den "SA-Sturm 17" um den Stettiner Bahnhof herum. Bei der
Gründung der SA Berlin im März 1926 stellte diese SA-Ortsgruppe mit 60
Teilnehmern bereits ein Viertel der Berliner Mitglieder. Die folgenden fünf
Jahre wurde der Wedding vor allem von diesem "Sturm"
terrorisiert.
Am 22. Januar 1931 machte der SA-Sturm Stettiner Bahnhof z.B. im Saalbau
Friedrichshain mit, als nach einer Diskussions-Veranstaltung mit Walter
Ulbricht und Joseph Goebbels eine schwere Saalschlacht ausbrach, bei der
60 Menschen schwer verletzt wurden. Am 29. Mai des selben Jahres
versuchten Faschisten von der "Nationalsozialistischen
Betriebszellen-Organisation" beim BVG-Werk Usedomer Straße Flugblätter
zu verteilen, aber sie wurden mit Gewalt vertrieben. Im April 1932 gab es
dann nördlich der Ackerstraße blutige Straßenschlachten zwischen
Kommunisten und dem SA-Sturm aus der Usedomer Straße. Der Weddinger
Alfred Lazzaroni wurde von einem SA-Mann erstochen.
Bei Auseinandersetzungen wurden am Stettiner Tunnel, dem Fußgänger-Tunnel
unter dem Bahnhofs-Gelände, sechs Kommunisten von Nazis durch Schüsse
verletzt. Einige Tage später erschoss ein SA-Mann in der Ackerstraße
eine 37-jährige Frau, die er für eine Kommunistin hielt.
Ab Ende 1932 gab es in Berlin neben der politischen antifaschistischen
Bewegung eine weitere, die jedoch ihren Schwerpunkt im Häuserkampf hatte.
Die Mietstreiks und Besetzungen begannen im August 1932 und zogen sich
hin, bis die Nazis an die Macht kamen. Allein in der Umgebung des
Stettiner Bahnhofs waren über 300 Häuser an dem Streik beteiligt. Diese
Massenbewegung war aber nicht nur für die Hausbesitzer eine Niederlage,
sondern auch für die Faschisten, da sie gleichzeitig eine
Anti-Nazi-Bewegung war (mehr dazu im Abschnitt zu Meyer's Hof).
Mit der Machtübergabe 1933 wurde der Terror der Nazis legal und in
manchen antifaschistischen Hochburgen, wie zum Beispiel der Kösliner Straße
oder der Ackerstraße rächte er sich ab 1933 bitterlich. Allein in der
Ackerstraße 132/133, in der damals 2.000 Menschen lebten, verschwanden
mehr als tausend Personen, ohne dass es heute nachzuvollziehen ist, ob sie
alle verhaftet oder nur umgesiedelt wurden. Die meisten von ihnen werden
aber eingesperrt worden sein, denn diese Mietskaserne war den Nazis schon
immer ein Dorn im Auge.
Im August 1933 verhafteten die Nazis den KPD-Landtags-Abgeordneten Otto
Schmirgal aus der Ackerstraße 64. Nach seiner Entlassung leistete er
aktive betriebliche Widerstandsarbeit in einer Zahnradfabrik. Wegen
"systematischer Störung der Kriegsproduktion" in seinem Betrieb
wurde er im Februar 1942 zum zweiten Mal verhaftet und zusammen mit dem
bekannten Arbeitersportler Werner Seelenbinder im Zuchthaus Brandenburg
hingerichtet.
In der Ackerstraße befanden sich mehrere Widerstandsnester, so ein
Treffpunkt illegaler Gruppen der "Sozialistischen
Arbeiterpartei" in der Ackerstraße 88. In der Nummer 112 existierte
sogar eine geheime
Druckerei, in der illegale Flugblätter und Zeitungen ("Rote
Fanfare") der KPD gedruckt wurden.
Vor allem aber bei der AEG gab es Menschen, die den Nazis Widerstand
leisteten. Die Gruppe um Otto K. stand in Kontakt zu tschechischen und
französischen Gruppen. Sie versuchte auf die Belegschaft einzuwirken,
besonders auf die alten gewerkschaftlichen Arbeiter. Dass viele Arbeiter
der AEG keinen Bock auf die Nazis hatten, zeigten auch 1935 die Drohungen
an die Arbeiter, dass sie ihren Arbeitsplatz verlieren, wenn sie sich
nicht zahlreicher an den "Gefolgschafts"-Versammlungen
beteiligen würden. Stattdessen wurde im Februar 1935 ein großes
Hitlerbild zerstört. Die Betriebs-Versammlungen der Nazis wurden 1936
wegen dem geringen Interesse eingestellt und bei einem Besuch des Führers
der "Deutschen Arbeitsfront", Robert Ley, in der Ackerstraße
musste die Belegschaft künstlich durch SA- und SS-Männer aufgefüllt
werden.
1941 wurde der Kommunist Herbert Grasse Instrukteur der KPD bei der AEG
Widerstandsgruppe. Bis 1943 war sie eine der über siebzig Gruppen oder Grüppchen,
die die illegale KPD-Zellenstruktur aufbauten. Doch im Juli 1944 wurde
Anton Saefkow, der den Aufbau in Berlin leitete und sich dabei vor allem
auf die Weddinger Arbeiter stützte, von einem Spitzel verraten, ein großer
Teil der Struktur wurde zerstört. Ob auch die AEG-Gruppe dazu gehörte,
ist nicht bekannt.
Nur wenige Tage vor der Befreiung, am 10. April 1945, wurde auch Wilhelm Bösch
hingerichtet, der bei der AEG als Maschinenschlosser arbeitete. Ihm wurden
"kommunistische Umtriebe" und "Annäherung an den
Feind" angelastet.
Neben dem kommunistischen Widerstand gab es noch eine kleine Gruppe von
Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die sich in der Gegend Ackerstraße,
Bernauer und Strelitzer Straße trafen und sich "Edelweiß-Piraten"
nannten. Sie waren keine Widerstands-Bewegung, sondern versuchten nur,
sich dem Zwang der Nazis zu entziehen, indem sie nicht zur HJ gingen, sich
die Haare wachsen ließen und sich den Normen nicht unterwarfen.
Die Berichte über Widerständler bei der AEG, über geheime Treffpunkte
und dem großen politischen Bewusstsein in der Arbeiterschaft können aber
auch nicht darüber hinweg täuschen, dass die Nazis auch in der Ackerstraße
schnell die Oberhand bekamen und ohne nennenswerte Widerstände ihre
Gegner abholen und deportieren konnten.
...aus der Sicht der Nazis
Nach Aufhebung des Parteiverbotes erfolgte im Mai 1928 die Gründung
der Sektion Wedding. Sie hatte damals nicht mehr als 18 Parteigenossen.
Eine kleine namenlose Schar. Im Herbst 1928 gab die Sektion die Parole
aus: Bis Weihnachten wollen wir hundert Parteigenossen sein. Keine Mitläufer,
sondern aktive Kämpfer. Dieses Ziel wurde auch erreicht. 1929 trat die
Sektion Wedding zum ersten Mal auch nach außen hin in Erscheinung. Bei
den Stadtverordneten-Wahlen bekannten sich 7.000 Weddinger zur NSDAP. Während
des Wahlkampfes war 1929 erstmalig der gesamte Gausturm der SA auf dem
Wedding propagandistisch eingesetzt worden.
Am 4. September 1930 stiegen die Stimmen der NSDAP im Wedding auf mehr als
20.000. Es darf auch nicht unsere Weddinger SA vergessen werden. Der Sturm
17 umfasste nicht nur den gesamten Wedding, sondern auch das Gebiet um den
Stettiner Bahnhof. Er bestand aus zwei Trupps: Trupp 40 (Stettiner
Bahnhof) und Trupp 41 (Wedding). Aus dem Traditionssturm 17, dessen
Sturmlokal seit jeher das bekannte Lokal Grahn inder Usedomer Straße war,
entstanden zunächst drei Stürme: 40, 41 und 17.
Die Hitler-Jugend hatte auf dem Wedding einen besonders schweren Stand.
Die marxistischen Jugend- und Sportverbände beherrschten vollkommen das
Feld. Die wenigen, fast noch an einer Hand abzuzählenden Hitler-Jungen,
die 1928 auf dem Wedding vorhanden waren, gehörten zum Fähnlein
"Mitte". Die eigentliche Entwicklung der Weddinger Hitler-Jugend
ging erst vom NS-Schülerbund aus, der im Mai 1929 gegründet wurde.
Im Hochsommer 1932 war die Kampkraft der marxistischen Gegner schon soweit
erlahmt, dass auf dem Gartenplatz ein Aufmarsch der SA, mit einer
Kundgebung des Bezirks Norden reibungslos durchgeführt werden konnte. Im
Juli 1929 konnten bei der AEG in der Brunnenstraße als auch in der
Ackerstraße nationalsozialistische Zellen aufgezogen werden. Bis zur
Machtübernahme hatte die NSBO auf dem Wedding 24 Betriebszellen mit 2.200
Mitgliedern.
Im April 1933 war auch die Kösliner Straße fällig, als der Trupp 2/10
der Motorstaffel 10 dort ein bisheriges KPD-Lokal als Sturmlokal bezog.
Die Kösliner Straße war neben den Pharus-Sälen der Inbegriff des
knallroten Weddings. 1929 war die Kösliner Straße erstmalig von der
Standarte VI der SA durchfahren worden. Die verhetzten Marxisten bewarfen
die SA mit Blumen, an denen aber noch die Töpfe waren. Die Fahrt der SA
gab einen Aufruhr unter den Roten, den man sich heute gar nicht mehr
vorstellen kann.
So kam machtpolitisch gesehen, der Berliner Norden in unsere Hand, nachdem
sich auch hier das schaffende Volk in immer stärkerem Maße zum
Nationalsozialismus bekannt hatte. Leicht war der Kampf nicht. Manch einer
unserer Besten fand dabei die kühle Grube. Der Terror der Kommunisten
machte sogar vor Hitlerjungen keinen Halt. In noch nicht einmal ein und
einem halben Jahr trugen wir vier ermordete Nationalsozialisten zu Grabe.
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