x |
Im Faschismus
Ende der 20-er Jahre hatte die Versöhnungskirche 20.000
Gemeinde-Mitglieder und drei Pfarrer. Der "Kirchenkampf"
zwischen den "Deutschen Christen" und der "Bekennenden
Kirche" machte auch vor der Versöhnungs-Gemeinde nicht halt. Doch
anders als in den meisten anderen Gemeinden, die sich in der Regel für
eine Seite entschieden, war die Versöbnungs-Gemeinde in dieser Frage
gespalten, was naturgemäß zu einer Zerreißprobe im Innern führte.
Friedrich Wilhelm Kittlaus, Sohn des Pfarrers Eduard Kittlaus, berichtete:
"Und so passierte es dann 1932 - also bereits vor der Machtergreifung
- als Pfarrer Kersten den Gottesdienst hielt, die beiden Amtsbrüder
Gallert und mein Vater wie immer in der Kirche waren, die Pfarrer im
schwarzen Gehrock, der amtierende Pfarrer normalerweise im Talar in diesem
Fall aber im Braunhemd. Und dann begann er seine Predigt auf der Kanzel
mit: "Gott will Euch nicht mehr". Also der Bruch,
hundertprozentiger Bruch. Pfarrer Kersten füllte dann später seine
Kirche, indem ganze SA-Stämme aus der Umgebung zum Gottesdienst
kommandiert wurden. 600-800 Menschen kamen um 10 Uhr am Sonntag-Vormittag,
aber bei Pfarrer Kersten oft kaum 200. "Pfarrer Kersten war schon früh
Nazi. Schon in der Weimarer Zeit wurde er verurteilt weil er einem SA-Mann
seinen Revolver geliehen hatte!
Die Ostermesse am 26. April 1933 wurde dann aus der Versöhnungskirche
live im Rundfunk übertragen - gesprochen von Pfarrer Thom, der jedoch
nicht von der Gemeinde kam. Thom war Vertreter der "Deutschen
Christen", also der kirchlichen Variante der allgemeinen
nationalsozialistischen Gleichschaltung in Deutschland. Über die neue
Naziregierung sagte er: "So sehen wir heute an diesem ersten Ostern
im neuen Deutschland ein Symbol für die Auferstehung unseres Volkes. Was
seit jenem dunkelsten Tage deutscher Geschichte, an dem die Treue verhöhnt
und die Ehre verkauft worden ist, als brennende Sehnsucht in unseren
Herzen glühte, wofür wir uns, nach vierjährigem Ringen von der Front
zurückgekehrt, mit aller Leidenschaft eines unerschütterlichen Glaubens
einsetzten, das ist Erfüllung geworden: Der Ostermorgen des erwachenden
Deutschlands ist herrlich angebrochen. Ein Wunder ist vor unseren Augen
geschehen, so überwältigend, dass wie von selber die Hände der Kämpfer
sich zum Gebet falteten, und sturmerprobte Männer ihrem tiefsten Erleben
keinen anderen Ausdruck zu geben vermochten, als mit den Worten des alten
Kaisers: "Welch eine Wendung durch Gottes Fügung!"
Wie in einer Gemeinde die Bekennende Kirche gleichzeitig mit den Deutschen
Christen zusammenwirken konnte, ist heute kaum nachvollziehbar. Teilweise
gab es getrennte Gottesdienste, auch getrennte Gemeinde-Veranstaltungen.
Und natürlich waren die Vertreter der Bekennenden Kirche staatlichen
Repressionen ausgesetzt. Nochmal Kittlaus: "Die Gestapo hat bei uns
die Bücherschränke umgekrempelt, mehrfach, weil sie Anweisungen der
Bekennenden Kirche, also "staatsfeindliche" Unterlagen
suchte." Auch zu den Gottesdiensten der BK-Pfarrer erschien die
Gestapo regelmäßig. Mehrere Male wurden Beschwerden über die Predigten
eingereicht, so etwa am 1. November 1934 gegen eine Predigt von Pfarrer
Kittlaus, oder gegen einen Christvesper-Gottesdienst von Pfarrer Erich
Gallert. Mehrere Male erhielten die BK-Pfarrer Hausarrest. Der Gestapo war
Eduard Kittlaus vor allem als persönlicher Freund Martin Niemöllers verdächtig.
Doch in der Folgezeit (ab etwa 1935) hatte sich das Nebeneinander
eingespielt, bis die beiden Pfarrer der Bekennenden Kirche die Gemeinde
1942 bzw. 1944 verlassen mussten und in abgelegene Dorfgemeinden versetzt
wurden.
Die Nachkriegszeit
Im zweiten Weltkrieg wurde die Versöhnungskirche stark beschädigt und
konnte erst 1950 wieder genutzt werden. In diesem Jahr begann Pfarrer
Hildebrandt seinen Dienst in der Gemeinde. In der Zwischenzeit kam die
Kirche provisorisch im Gemeindesaal unter, der danach wieder seine alte
Bestimmung zurück erhielt. Doch die Situation war sehr ernüchternd: Von
den ehemals 20.000 Gemeinde-Mitgliedern gab es gerade noch ein Drittel,
eigentlich brauchte man kein so großes Haus mehr. Andererseits war gerade
in der Nachkriegszeit wieder viel von der sozialen Arbeit nötig geworden,
die die Versöhnungskirche schon früher geleistet hatte. Doch in den Fünfzigern
erlitt die Arbeit einen Einbruch. Pfarrer Hildebrandt schrieb damals:
"Es scheint eine, teils unverschuldete, Müdigkeit um sich gegriffen
zu haben, unverschuldet insofern, als die Zeit sich weithin als Nervensäge
offenbart und die Menschen das Äußerste in ihrem Existenzkampf hergeben
zu müssen scheinen; unverschuldet insofern, als zahllose Zeitgenossen,
auf der Jagd nach Fernsehgeräten und Kühlschränken und nach einer früher
so nicht beachteten Steigerung des Lebensstandards sich um alle Freizeit
und Gelassenheit, und somit auch faktisch um die Möglichkeit bringen,
Gottes Wort zu hören." Nach der Sektoreneinteilung Berlins fand sich
die Versöhnungs-Gemeinde auf beiden Seiten der Grenze vor. Im Ostteil
standen die Kirche sowie das Pfarr- und Gemeindehaus. Etwa 100
Gemeinde-Mitglieder, vor allem von der Südseite der Bernauer Straße,
lebten im sowjetischen Sektor. Dagegen wohnte der überwiegende Teil der
Gemeinde-Mitglieder im Wedding. Der westliche Prozentsatz erhöhte sich
durch den Zuzug von fast 1.000 Menschen in den Neubaublock "Ernst-Reuter-Siedlung"
dann nochmal von 93 auf 97 Prozent. Pfarrer Hildebrandt versuchte 1960,
auf der Westseite ein neues Gemeinde-Zentrum anzuregen. Doch bevor er den
langen Weg bis zu einem solchen Zentrum geschafft hätte, schuf die
Regierung der DDR andere Fakten.
|
x |