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Brennessel 
 

16.Juli 95 19.19

Entzündung durch Verstopfung.

In ihrem Geruch liegt das wahre Heil der heimischen Haschischraucher. Es ist das was sie flüchten: Die destruktive Kraft des Überdüngten. Wo die Füsse der Asketen im Morast des Luxus verfaulen, wird die Brennessel spielend damit fertig. Und doch steht sie auf Magerwiesen gleich neben den Sparsamen. Die süsse Mütterlichkeit der Kühe verbindet sie mit den Kräutern der Felsen. Wo der Dung des Viehs mit der Überfülle seiner Nährstoffe die Entbehrenden vernichtet, wie ein Millionengewinn den lottospielenden Arbeiter, fusst die Brennessel zielstrebig in der salmiakigen Ansammlung und erlöst den tödlichen Überfluss des Irdischen mit ihrem spendablen Wuchs zum Wohlstand des Himmels. Die Raupen des Tagpfauenauges und des kleinen Fuchses finden in den zu Büscheln versammelten hohen Schossen ihre Wiegen. Als Raupen haben diese typischsten Schmetterlinge unserer Gegend von ihr auch das Kleid übernommen. Sie zeigen zehn Reihen der Nesselhaare, schwarz in der Jugend, wie die Adern des Brennesselblattes auf der Schattenseite, lichte, hell gelbrüne Längsstreifen auf schwarzem Grun nach den Häutungen, wenn sie auf der Sonnenseite der Blätter leben. Und sie schlemmen von der unerschöpflichen Lebenskraft, um in der Reife ihres himmlischen Lebens als Gauckler der Wiesen auf den Disteln nach Nektar zu schlürfen. Ein Gleichnis, wie aus Überfluss der Erde eine Fülle des Himmels wird und nicht modernde Verwesung und Gestank.

 

Hab nie gehört von Brennessel in der Homöopathie. Sie muss aber Wunder wirken für den, der als Entsagender, als Asket im fetten Boden landet. Es ist dem Zuviel nur durch Grosszügigkeit zu entkommen. Das Entfettende und das Erleichternde des irdischen Übergewichts liegt im Wesen der Brennessel. Ihre schweren, süssen Blattsäfte verströmen wie ein gehaltvoller Wein, die frohe Botschaft von der Erlösung des luftfrei Gehorteten zum Guten. Das träge, immobile Fett wird in einem Rausch des Wachstums dem Kreislauf zurückgeführt. Aus Fett wird Blut.

 

Die Brennessel sendet ihre Botschaft mit ätherischen Gerüchen zum Himmel. Auch da erinnert ihr Duft an das Berauschende des Hanfs. Was dem Heu erst im Eintrocknen ensteigt, entflieht der Brennessel in ganzer Kraft lebend und flammend. Die Feuchtigkeit, die sie so liebt entsteigt ihren gezähnten und behaarten Blättern als der Geruch des Getrockneten. Der Äther entschwebt ihr im Leben. Das Verbindende von Überfluss und Entsagung ist das gemeinsames Merkmal von Hanf und Brennessel. Aus den starken Stengeln lassen sich dauerhafte Fasern für Schnüre, Seile und Gewebe gewinnen. Die Kühe meiden sie wohl auch deshalb. Doch eine Unzahl von Insekten ernähren sich von den zarten Auen zwischen den zähen Gefässen und entschwirren dann dieser überglücklichen Kinderstube, um die Genügsamen zu befruchten.

 

Die Raupen der buntesten Schmetterlinge schiessen an den grünen Eutern der Brennesseln gross. Ihre Farben sind kräftig und es sind vor allem die leuchtenden Braun-, Rot-  und die tiefen Schwarztöne, welche sie zeigen. Das Licht wird fast völlig aufgesogen. Das Blut der Brennessel, ihr Blattgrün, oxidiert sogleich zu schwarz. Es ist überaus empfänglich für das Licht und die Luft. Diese Elemente brechen das leblose zu ihren Füssen und machen es dem Himmel zugänglich. Sie verbrennt den Überfluss rückstandlos, wie wenn Öl aus einer steinigen Quelle durch Feuer gleich zur Oase der Fruchtbarkeit würde. Die Brennessel ist die himmlische Potenz des materiellen Wohlstandes. Das in ängstlicher Ansammlungsmanie Gefangene, In Verlustangst Abgeschlossene, Abgedichtete, das im Haben erstickte Sein, den brachen Überflusses verteilt sie durch ihre bedingungslose Widmung an Luft und Licht ins entsagungsreiche Umland. Ihre Nesseln gelten denen, die ihr den Grund ihres Daseins verschafften. Was bei der Brennessel das rauchlose Feuer ist, ist beim Hanf das Mottende. Sein Harz und sein Pech verkleben die Entscheidung. Er verstopft die Erlösung des Überflusses.

 

Geruch : Zitronenschnitz in Kohlensäurehaltiges Mineralwasser geben. Fruchtfleisch zerdrücken. Es muss eine Beziehung zu den ätherischen Düften der Zitrone bestehen. Nicht aber von der Schale der Zitrone, sondern vom Fruchtfleisch.

 

Brennesseljauche: Zerfällt mit Wasser wieder zu dem, woraus es entstand. Starker Jauchegeruch. Starker, guter Dünger. Zuckmückenlarven.

 

Den Kot der Tagpfauenraupen habe ich als Dünger in einer Büchse aufbewahrt.

 

Die B. liebt auch das Wasser. Bei Trockenheit lässt sie alle grossen Blätter fallen und zieht sich in den Stengel zurück. Da schiesst sie an den Blattansätzen bei Feuchtigkeit wieder aus. Die sonnigen Standorten bringen ein unglaublich sattes, kräftiges Blattgrün hervor. Die B. der schattigen Standorte sind durchsichtiger. Die Pflanze muss einen unglaublichen Druck aus dem Wurzelstock entwickeln. Locker überflügelt sie an geeigneten Standorten ihre Nachbarpflanzen. So ragt sie in den sumpfigen Gelände wie japanische Fahnenstangen über die ca. Meterhohe Vegetation.

 

Gibt es für die Brennessel einen astrologischen Rhythmus. Es scheint, dass viele Raupen, die auf der Brennessel fressen, einen abgestimmten Rhythmus haben. Auch die Eiablage dürfte nun wieder aktuell werden. Habe ein Gelege (des Tagpfauenauges?) gesehen, ein Häufchen länglicher Eiere an der Unterseite eines Brennesselblattes. Zwar ist auch das Wetter nun etwas weniger heiss und einzelne Wolken haben die Tagpfauenaugen wieder aus den kühlen Kellern gelockt.

 

Die Grosse Brennessel Urtica dioica ist eine zweihäusige Pflanze im Gegensatz zur kleinen Brennessel Urtica urens, die in der Homöopathie verwendet wird. Es gibt bei Ihnen also Männchen die den Blütenstaub explosionsartig in die Morgenluft schleudern und Weibchen, denen dieser Blütenstaub mit dem Wind zugetragen wird. Ebenfalls eine zweihäusige Pflanze ist der Hanf. Von den Haschischrauchern werden nur die Weibchen grossgezogen, da sie als unbefruchtete Blütenstände sehr harzhaltig sind. Die männlichen Pflanzen werden dagegegen möglichst rasch ausgerissen, um zu verhindern, dass die Weibchen bestäubt werden und dadurch Kraft verlieren für die Produktion des berauschenden Harzes. Das Thema der Unfruchtbarkeit ist also mit dem Haschischrauchen verbunden, auch scheint das Weibliche, wenn es an der Verwirklichung seiner Fruchtbarkeit gehindert wird, eine berauschende Wirkung zu entwickeln. Eine Frau hat dann meist selbst etwas Benebeltes, Abgehobenes, Verlorenes. Vielleicht sollte man bei Unfruchtbarkeit für die Partner Mittel von zweihäusigen Pflanzen einsetzen.

 

Die brennenden Haare der Nessel sind gebaut wie Injektionsspritzen, oder genauer, wie eine Ampulle, ein feines, fast glasartig hartes, zugespitztes Röhrchen mit einer kleinen, kugelförmigen Spitze. Im Inneren der Spritze ist das nesselnde Gift enthalten. Bei Berührung bricht das Kügelchen an der Spitze der Nesselspritze ab, durch den schrägen Bruch bildet sich eine ultraspitze, scharfe Spitze, die leicht in die Haut dringt und in die dann das Gift durch die Spritze gelangt und dort Entzündungen hervorruft. Das Thema der Entzündung ist mit dem Thema der Ausscheidung nah verwandt.

 

Im Pflanzenreich nimmt das Thema der Haare eine wichtige Stelle ein. Während feine, flaumartige Behaarung meist Schutz bietet vor Verdunstung sind die Stacheln, Dornen und Nesselhaare der Abwehr von Fressfeinden zugedacht. Bei den Raupen sind ähnliche Übergänge von Nacktheit zu feiner Behaarung bis zu schrecklichen, warzigen Erhebungen mit Stacheln alle Varianten zu finden.

 

 
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