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Daniel Ambühl   > Textarchiv  > Puppenharn

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Raupenfliegen
 

Maden aus Puppen des Tagpfauenauges, Inachis io. Generation, die im Freien in der Verpuppungsunruhe gefangen wurden. Auffälliger Unterschied zu den Raupen: Die Maden häuten sich nicht, sie erstarren sozusagen zur Puppe. Da sie im Inneren einer Raupe fressen, benötigen sie also selbst keine Haut. Sie haben deshalb auch eigentlich kein unterscheidbares Erscheinungsbild. Die Made trägt kein Kleid, sie ist gesichtlos, anonym, und selbst ihr Inneres ist nur indifferente Masse, lässt keine Schlüsse zu auf ihr späteres Äusseres. Eine Fliegenmade ist eine Fliegenmade. Nur durch die Beobachtung der Orte an denen sie Auftauchen und wo sie fressen ist ein solcher Schluss zu ziehen. Die Maden der Raupenfliege sehen genau so aus wie die Maden, welche man zum Fischen benötigt, die Fleischmaden.

  Die Raupenfliege aus der Familie der Tachinidae hat eine Körperlänge von 10 Milllimetern, eine stattliche, kräftig gebaute, haarige Erscheinung, fast schwarz. Ihre Hauptmerkmal ist die borstige, glänzend schwarze Behaarung, vor allem des letzten Hinterleibssegmentes und des Raumes zwischen den Facettenaugen. Aber recht eigentlich ist der ganze Körper der Fliege behaart, selbst Beine und Flügelansätze. Ausgenommen sind nur das grosse halbrunde, weissliche Postscutelum und die hellbraunen Flanken des Hinterkörpers. Die Flügel sind durchsichtig und tragen mit Ausnahme der fast schwarzen, feinen Adern keine Zeichnung. Weder ein Saug- noch ein Stechapparat ist von aussen erkennbar. Die Puppe der Raupenfliege ist ca 9 Millimeter lang und hat einen Durchmesser von ca. 4 Millimetern. Sie hat die Form einer Kapsel oder einer Tonne mit abgerundeten Enden. Kopf und Afterteil der Puppe sind kaum zu erraten, ausser in der Struktur der 8 Ringe, welche die Segmente des Insekts erahnen lässt. Diese Segmente erscheinen aber erst in der Verpuppung. Zuvor ist in der Made nicht mal diese Struktur sichtbar. Die Puppenhaut der Raupenfliege ist robust, dick und stabil. Sie soll offenbar auch Druck aushalten und jedwelche Angriffe mechanischer Art von Aussen. Nach dem Ausschlüpfen der Fliege ist die zurückbleibende Puppenhaut nur wenig elastisch, splittrig, brüchig. Mit dem Innendruck der Körperflüssigkeit stellt sie aber einen äusserst unempfindlicher Panzer dar, durchsichtig zwar aber von dunklem braunrotem Ton. Es ist verwunderlich, wie innerhalb von Minuten die pigmentlose, gummige, weisse Haut der Maden an der Luft zu diesem fast schwarzen Panzer aushärten kann. Dies kann nicht alleine auf den Lufteinfluss zurückzuführen sein, denn Maden von anderen Fleischfliegen, die tagelang an der Luft leben bleiben dennoch eine ganze Weile Maden und verwandelten sich erst nach einer bestimmten Zeit plötzlich zu diesen schlagfesten Kapselpuppen. Und selbst Maden, die in Alkohol oder Wasser gegeben werden verpuppen sich. manche allerdings nur teilweise..

Die Eigenschaft hatte ich als zehnjähriger Bengel für meine Zwecke zu nutzen versucht. Damals besass ich als Zimmergenossen einen Laubfrosch, der in einem Terrarium sein einsames Leben fristete. Meist klammerte er sich regungslos und sattgrün glänzend mit seinen niedlichen Händen und den feinen, langen Zehen, die in kleinen kugeligen Fingerbeerchen endeten - man kennt sie aus den Zeichnungen der Märchenfrösche-,  an einem Aste fest. Seine einzige Freude bestand in einem reich gedeckten Tisch, den ich jeden Tag mithilfe eines Netzes - meist ein gebrauchter Strumpf meiner Mutter um eine Drahschlinge und an einem Stclken befestigt -  über den Wiesen zu fangen hatte: Kleine Mücken, grosse Stechmücken, fliegende Blattläuse und dergleichen mehr. Dies ging solange gut, als ich nach der Schule jeweils für den kleinen Laubfrosch auf die Jagd gehen konnte. Doch dann nahten die grossen Schulferien und wir beabsichtigten zwei Wochen davon in einem Zelt im Tessin zu verbringen. Was aber war da für die schnuckelige Amphibie zu tun, die mich vom Tage des Bekanntwerdens der baldigen Abreise an, mit immer traurigeren und trostloseren Augen anzugucken schien, dass es mir hundelend zu Mute war und ich nach einem Ausweg für die bevorstehende Fastenzeit meines Lieblings suchte. Da erinnerte ich mich meiner ebenso ausgedehnten wie erfolglosen Abenteuer als Petrjünger. Mein Lieblingsufer, an dem ich jede Ecke des Wassers kannte, an welcher keine Fische zu fangen waren, lag beim Zürihorn. Da erbettelte ich mir jeweils von den alten, bis zu den Zähnen gerüsteten Profis, ein paar Köder-Maden, um die vom vielen Brot bereits verwöhnten und recht eigentlich wohlstandsverwahrlosten Weissfische, Schwalen, Rotfedern und Leugel doch noch an meinen Angelhaken zu kriegen. Ich stand vor einem schwierige Konflikt. Einerseits wollte ich etwas fangen. Andererseits hatte man mir aber verboten, je nochmals Schwalen und Rotfedern nach hause zu bringen, da man pro Exemplar mindestens eine Stunde zur Entfernung der Gräten aufwenden musste. Wofür sollte man sich also anstrengen, wenn doch nur Tadel zu erwarten wäre. Meist war ich also ebenso glücklich wie die Fische, dass wir uns nichts angetan hatten. Sobald die Tinguelymaschine um elf Uhr vormittags zu rattern begann, schmiss ich meine Habseligkeiten in eine Plastitasche und fuhr mit dem Tram nach Hause Da blieb dann die Plastiktasche unauffällig und unbeachtet liegen, bis die übriggebliebenen Maden sich verpuppt hatten und daraus Fliegen geworden waren, die zum Entsetzen meiner Mutter plötzlich in grossen Scharen mein Zimmer bevölkerten. Die nachfolgende Diskussion muss mir soviel Eindruck gemacht haben, dass ich mich in der existentiellen Notsituation meines Laubfrosches, daran detailliert erinnerte. Ich fuhr sogleich in die Stadt und kaufte im vornehmsten Anglergeschäft am Bürkliplatz eine Dose frischer Köder-Maden. Mein Plan war perfekt. Da ich aus eigener Erfahrung wusste, dass die Maden zur Verpuppung und zum Ausschlüpfen etwa eine Woche Zeit benötigten, gab ich nun täglich ein paar der Maden in ein kleines, trockenes Gefäss ins Terrarium. Wenn meine Rechnung aufginge, dann müssten die Maden exakt während meiner ferienbedingten Abwesenheit und zwar in schönen Tagesabständen ausschlüpfen. So hätte mein Laubfrosch nicht zu hungern. Einige Tage ging das gut, bis meine Mutter im Kühlschrank ein seltsames Paket entdeckte, eine Art von Dose, die sorgfältig mit Aluminiumfolie umwickelt war, um sie da zwischen dem ebensoverpackten Käse, der angeschnittenen Zwiebel und dergleichen zu tarnen. Mutters scharfem Blick aber entging dieser Fremdkörper zwischen dem Gemüse, der Milch, den Eieren, und der Butter nicht. Sie wunderte sich, was sie da wohl so lange vergessen hätte, öffnete das Paket und .was sie da zwischen Haferflocken herumkriechen sah muss auf sie traumatisch gewirkt haben. Es gab ein Riesengeschrei und all meine Erklärungsversuche fruchteten wenig, dass die Maden völlig unschädlich seien, ganz saubere Tierchen und dass ich sie doch - um Gottes Willen- an einem kühlen Ort aufbewahren müsste, damit sie sich nicht sogleich verpuppten. Meine Mutter verlangte ultimativ die Entfernung meiner Maden aus ihrem Kühlschrank. Ich gab also etwas enttäuscht über die fehlende Solidariät mit meinem Laubfrosch den Rest der unterkühlten Maden ins Terrarium und glücklicherweise begannen dann schon bald die Ferien, damit sich die gereizte Athmosphäre im Umkreis des Kühlschrankes etwas entspannen konnte. Die Ferienzeit war aufregend wie immer, auch dank des Umstandes, dass ich mithilfe der Maden sogar mein schlechtes Gewissen gegenüber dem zurückgebliebenen Wohnungshüters auf seinem Aste losgeworden war. Bei meiner Rückkehr nach Zürich und beim Betreten meines Zimmers war mir schlöagartig klar, was der nun bevorstehende Schulallltag bedeuten würde.. Es bot sich mir ein Bild des Grauens: Mein Terrarium war völlig schwarz, erfüllt von Fliegen, ihren punktförmigen Kotspuren an den Scheiben auf den Blättern des Astes. da drin fast nicht mehr sichtbar unter dem wirren schwarzen Gebrumme sass in eine Ecke zurückgedrängt völlig verängstigt mein Laubfrosch zwischen der erdrückenden Übermacht seiner Nahrung. So, wie ich mich macnhmal fühlte gegenüber der Flut uneröledigter Hausaufgaben. Ich musste mit den Maden wohl etwas übertrieben haben. Mein erbarmungswürdiges Amphibium hatte bestimmt zwei Wochen gefastet, weil es vor lauter fetter Fliegen den Magen runiert und den Appetit verloren hatte.

Um zu den Maden der Raupenfliegen zurückzukommen. Sie waren also so fest in ihrer Puppenhaut geschützt, dass die wenigsten Fressfeinde dieser am Boden liegenden Tönnchen etwas mit ihnen hätten anzufangen wissen, nicht einmal mein verflossener Laubfrosch. Während eine Made für Ameisen ein leichtes Opfer ist, können sie den armierten Wänden der Puppe nichts anhaben. Auch die Puppen dieser Raupenfliege lassen fast keine Rückschlüsse auf das zu erwartende Insekt zu. Sie sind so uniform wie die Erscheinung der Maden. Das ist doch ein markanter Unterschied zu den Puppen der Schmetterlinge. was haben wir doch nicht alles den armen Fliegen angetan, sie den Fröschen verfüttert, als Maden den Fischen, die Flügel ausgerissen und in Spinnenetze geworfen, mit der Klappe am schönsten weissen Vorhang der Grosseltern zerquetscht. Und erst die Fliegenbänder in den Ställen, diese klebrigen, spiralförmig ausgezogenen Papierstreifen, an denen die armen Viecher batallionsweise verendeten, kaum waren sie der im wohlig warmen Mist liegenden Puppe entkrochen.

19.08. Überraschung bei einem Spaziergang auf dem Mauerstreifen. 14.44 bis 16.00 Uhr Wildfang von Raupen in der Unruhe. Zwischen Strelitzer und Ackerstrasse fielen mir die schwarzen Leiber der Raupen des Tagpfauenauges auf den hellen Gräsern auf. Als ich um mich guckte, waren überall diese schwarzen Raupen, auf Beifuss waren sie gestiegen, auf einzelne dürre Grashalme, die sich unter dem Gewicht druchbogen. Bei der Hitze!Und wie auffällig! Wahnsinn, dieses Unternehmen, Die totale Selbstvergessenheit. In einer wilden, sinnlosen Flucht kriechen sie von den Gebüschen der Brennessel weg. duch das Gewirr von Gräsern, an vertrockneten Hundekothaufen vorbei. Bis zu zehn Meter weit weg von der Futterpflanze sah ich sie. An diesem Gebüsch habe ich sie zuvor nie festgestellt. Sie müssen, um vor der Hitze zu fliehen, in Wurzelnähe der Nesseln ihr Versteck gesucht haben. Nun war Exodus. Interessanterweise ist kein einziger Vogel zu sehen. Selbst die sonst so verbreiteten Tauben haben sich vor der Hitze verkrochen.

Um 17.05 alles ruhig. Raupen ruhen an der Decke des Geheges. Ca 50 Stück. Beim letzten Spaziergang keine Raupe mehr zu sehen.17.57 Uhr. Sie müssen schon einen Ort gefunden haben, irgendwo zwischen den Gräsern.

20.8. Als ich gegen Abend und in der Nacht die Verpuppung der Raupen filmte, fielen mir plötzlich zwei drei kleine Schlupfwespen auf, die sich an den frisch verpuppten Raupen zu schaffen machten. Wahrscheinlich versuchten sie, durch die noch ungehärtete Haut der Puppe mit einem Stachel Eier ins Innere abzulegen. Ich versuchte die Wespen herauszujagen. Erwischte drei Stück. In Zukunft werde ich mir für die Verpuppungskästen und Aufzugskästen Gaze besorgen müssen mit einer Maschenweite, durch welche die winzigen Schlupfwespen (Länge ca. 2 mm) nicht hindurch können. Es könnte sonst sein, dass am Schluss nur Schlupfwespen ausschlüpfen und keine Schmetterlinge.

24.8. Grosser Schreck am Morgen. Von fast allen Puppen hängt ein schleimiger , weisser Faden herunter. Darunter, auf der Alufolie, die ich zum Auffangen des Mekoniums ausgebreitet hatte, kriechen überall fette, weisse Maden. Einige haben sich schon zu dick servelatartigen Puppen verwandelt. Und schliesslich sehe ich, wie gerade eine Made die Puppe eines Schmetterlings verlässt. Sie zwängt sich durch einen Riss in der Seite aus der Schmetterlingspuppe und lässt sich an einem klebrigen Schleimfaden herabgleiten. Drei dieser Maden lege ich noch lebendig in Alkohol. Darin verpuppen sie sich dennoch sogleich, kaum haben sie sich aus der Puppe des Schmetterlings abgeseilt. Ich war bestürzt, angeekelt und auch wütend. Die Tragik neigt zur Verdrängung. Habe mir lange überlegt, ob ich Azita davon erzählen soll. Aus einer Puppe schlüpft eine Raupe! Dem Aussehen nach muss aus den Puppen und Maden eine Fliege werden. Ich werde die Puppen jetzt mal separat und möglichst gesichert aufbewahren, um das Insekt zu untersuchen, welches da aus der Servelatpuppe schlüpft. Die parasitische Fliege hat also bereits die Raupen infisziert. Sie lebte schon in den Raupen. Die Raupen des Schmetterlings konnten sich noch in aller Hetzte verpuppen, doch in der Ruhe wurden sie in der Hülle des Schmetterlings aufgefressen von der Fliegenraupe. Ein furchtbarer Gedanke. Es ist kaum Trost zu finden für diese Beobachtung, wenn man vom Schmetterling ausgeht. Das Wesen der Enttäuschung liegt in der Erwartung und Identifikation. Die Entäuschung ist deshalb Folge einer Wertung. In der Erwartung eines Schmetterlings ist die Erscheinung der Made der Fliege aus der Puppe ein ohnmächtiges Grauen. Zuerst überkommt einem die Lust, diese ekligen Maden alle zu zertreten, die Puppen zu zerquetschen, auszuradieren. Möglichst schnell weg damit, ausmerzen, verbrennen! Alle Bedrohungen für die Erfüllung der eigenen Erwartungen sollen eliminiert werden. Die Made ist ein Tabu des Schutzes eigener Absichten. Es kann keinen Sinn machen, als Menschen Schmetterlinge schützen zu wollen. Diese Versuche sind immer nur Ausdruck des eigenen absichtsvollen zweckhaften Zugriffs auf das Wesen des Schmetterlings. Wie mit meinem Mekonium. Nun sind also gegenüber meiner eigenen Idee, Puppenharn zu sammeln, plötzlich Feinde aufgetreten. Diese Feinde fressen im Inneren der Idee. Kann man mit einem solchen Schrecken leben. Und wie? Wahrscheinlich nur, wenn man sich eingesteht, das Wesen des Schmetterlings eben nicht ganz erkannt zu haben, weil dazu die Bedrohung durch die Schlupfwespen und Raupenfliegen gehört. Die Raupenfliege handelt ihrem Wesen gemäss unschuldig und ist als Parasit auf die Schmetterlingsraupen angewiesen. Sie ist selbst nicht weniger bedroht oder gefährdet als der Schmetterling. Es gibt keinen Richter für diesen Vorgang, dass da fünfzig Schmetterlingspuppen von Raupenfliegen aus ihrem Inneren zerfressen wurden. Und doch ist das Empfinden da, dass das Grausame im Wesentlichen die Täuschung des Schutzes, das Sicherheitsgefühl ist. Das Beruhigende wird mit dieser Erkenntnis dann Beunruhigend. Das Beunruhigende aber drängt zum Schutze, der wiederum nur Täuschung ist. Nach dem Erlebnis dieser Madenabseilung aus den Schmetterlingspuppen wird die Besorgnis wachsen, wird sich vielleicht sogar Hoffnungslosigkeit breitmachen. Die Sehnsucht nach dem Ausbruch aus diesem Teufelskreis kann so in Betäubung führen oder auch in eine Flucht ins Jenseitige. Ist es nicht unglaublich schwierig den Verlust des Schmetterlings mit dem Leben der Fliege zu trösten?

Nun aber schien mir auch viel klarer, weshalb die Raupen so unbedacht und ungeschützt und so kamikazeartig in die Verpuppung drängten. Sie haben sich den Vögeln geradezu angeboten. Als wollten sie sagen : „Fresst mich bitte, damit die Made der Raupenfliege in mir stirbt, und sie nicht noch weitere Raupen befallen kann.“ Ein Schutz also für die eigene Art. Eine letzte verzweifelte Tat, sich selbst zu opfern für das Wohl der Gesunden?

Ja, die Fliege muss in besonderem Masse, den Hass der Menschen erworben haben. Sie scheut sich nicht, auf den stinkendsten Exkrementen zu äsen und danach gleich in die Konfitüre auf dem Sonntagstisch zu fallen. Ihren Maden scheint der fürchterliche Leichengestank eines verendeten Karpfens am Strand die gerade richtige Kinderstube zu sein. Ekel, Schmutz, Verwesung und bestialische Gerüche scheinen ihnen fremde Begriffe zu sein. Man könnte Fliegen als Lufthyänen bezeichnen. Leichenschänderpunks. Ihre Futternische ist das, was sonst in weiten Teilen der Tierwelt als Nahrung tabu ist. Das Gefühl, sich durch Kontakte mit einer Fliege zu beschmutzen ist so ausgeprägt, dass sogar ein Gerät erfunden wurde, um sie berührungslos zu eliminieren, die Fliegenklatsche. In der Weltliteratur erscheint sie meines Wissens neben der besagten Abhandlung über das Fliegenpapier in noch mindestens zwei bedeutsamen Kunstwerken. In einem Ostfriesenwitz, der mit der Frage beginnt : „Weshalb ist es in Ostfriesland Sitte, bei einer Hochzeit eine gefüllte Mistgarette vor dem Brautpaar herzuschieben? Antwort : Damit die Fliegen nicht an die Braut gehen.“ Und dann erinnere ich mich noch an das Cover eines Rolling Stones Bootlegs. Darauf sind die fünf fröhlichen Musikanten als alte, abgewrackte, versoffene Obdachlose abgebildet, die einer Pissoirwand entlangschwanken. An die Wand hat jemand geschrieben : „Eat shit: 10’000’000 flies can´t be wrong!“ Am Image einer Fliege ist also beinahe nichts mehr kaputt zu machen. Selbst die so heimelige Stubenfliege wird ihrer näheren und fernere Verwandtschaft wegen gerne gehasst. Sie mag mit Anlass dazu gegeben haben, dass man in den hygienischen Fünzigerjahren das Wort „Stube“ in „Wohnzimmer“ umbenannte. Umso erstaunlicher, dass die Fliege einen so harmlosen Namen trägt, der nur auf ihr Herumfliegen Bezug nimmt, was ja noch das akzeptabelste ist am Wesen der Fliege aus Sicht der städtischen Bevölkerung. Die Fliege ist Hinweis auf die Nahrung der Antinahrung. Das, was am konträren Punkt zur Nahrung steht, ist für sie genau Nahrung. Das Verdorbene, das Ausgeschiedene, Abfall.

Die Raupenfliege hat völlig andere Bedeutungen als die Schlupfwespen. Die wichtigsten Unterschiede sind, dass die Raupenfliegen sich einzeln in den Raupen entwickeln und sich auch einzeln verpuppen. Die Zerstörung der Raupe und Schmetterlings ist nicht ein Gemeinschaftswerk, sondern das Tun einer einzelnen Made, die in der Puppe genau die Portion Vorräte für ihr Leben vorfindet. Die Puppe als eine Art aufgehängtes unverderbliches Vorratsfleisch für die Made. Während die Schlupfwespen sich von den Fettpolstern der Raupen ernähren und die Raupe erst nach dem Austritt der Maden aus dem Körper verendet, gehen die Fliegenmaden einen Schritt weiter. Sie haben ihr Fresswerk zwar auch schon in der Raupe begonnen, doch um zur ganzen Grösse auszuwachsen müssen sie der Raupe die Verpuppung noch erlauben, denn die Made benötigt den Schutz des Körperinhalts der Puppe. Erst da stirbt der angehende Schmetterling. In der Puppe. Dann ist es auch nicht mehr nötig, dass die Puppe lebt, die Körpersäfte sind ja so sorgsam eingepackt, dass sie auch tot noch einige Tage frisch bleiben, bis zur Abseilung der Made.Und dass sie der Schmetterlingsraupe die Verpuppung noch erlauben. Dann aber sich bei Nacht und Nebel aus ihr abseilen und im Gras verschwinden. Die Puppe mit weissen herunterhängenden Faden deutet auf einen Ausbruch hin. Sieht sie nicht wie zusammengeknotete Betttücher, die aus dem Fenster einer Gefängniszelle ins Freie führen. Abhauen. Eine Täuschung ist damit auch angezeigt. Denn die Puppe des Schmetterlings bleibt trotz des Frasses der Made in ihr drin, vollständig enthalten. Und es zeigen sich fast keine Anzeichen, dass sie nur noch tote, geplünderte Mumie ist. Ein geplündertes Pharaonengrab. Alles, was zum Übergang des Pharaonen und für sein Leben in der andere Welt sorgsam im Schutze einer Grabkammer verschlossen wurde, wurde heimlich abtransportiert. Die Fliege hat mit dem Schatz die Fliege gemacht. Ist verduftet. Sie will aber nicht, dass man das von aussen sieht. Nur das Seil musste sie als Korpus delikti zurücklassen. Die Plünderung hat die Seele des Pharaonen umgebracht. Nun wird er beim Übergang über den Totenfluss ertrinken oder im Totenreich verhungern müssen, weil seine Schätze nun im ägytischen Nationalmuseum in Kairo vergammeln. Die Räuber sind wegen seiner Schätze gekommen, gestohlen haben sie aber seine Seele.

Betrachten wir das Seil etwas genauer: Wozu dieses Abseilen aus der geplünderten Stürzpuppe? Könnte sich die Made beim Sturz aus der Puppe etwa verletzten? Kaum, denn sie besitzt doch eine ziemlich elastische Haut, sie ist nicht schwer. Und das Seil reicht ja nicht bis zum Boden sondern nur ein paar Zentmeter unter die Puppe, dann reisst es und die Made fällt dennoch ins Gras, wo sie hastig Schutz und Deckung sucht, denn die Ameisen, die Wespen und allerlei andere Feinde sind schon hinter ihr her. Das Gummiseil soll den Bungyjumper, der da aus der Puppe kommt, aber dennoch auf sicheren Boden bringen. Meist hängen ja Puppen nicht so hoch über dem Boden wie in meinem Gehege, sondern versteckt in Ritzen und an Pflanzen festgemacht. Die Made kann also mit diesem ein paar Zentimeter langen Gummiseil sicher und ohne Sturz ein Blatt oder einen Stein erreichen, um sich dort zu verpuppen. Und erst nach der Verpuppung rollt dann eventuell das gepanzerte Tönnchen vielleicht vom Blatt und zu Boden, dann aber kann ihm fast nichts mehr geschehen. Es scheint so fest, dass man darin ruhig über die Niagarafälle hinunterstürzten könnte, was ja immer wieder als Mutprobe geschieht, in solchen stabilen Tonnen, die mich an die Fliegenpuppen stark erinnern.

Hochinteressant ist auch die Bewegung der Made während des Abseilens. Zunächst also sucht sie den Ausgang aus der Puppe. Er liegt nicht etwa wie man vermuten würde am tiefsten Punkt der Schmetterlingspuppe, sondern immer an einer Seite der Puppe und zwar am Ort, wo sich die Flügel des Schmetterlings entwicklen sollten. Die feine Puppenhaut wird da aber nicht durchstossen und kein Loch hineingefressen. Die Made verlässt sie durch einen Spalt, der sich danach gleich wieder schliesst. Die Made aber klebt beim Austritt noch an der Seite der Puppe und ist über eine zähe, elastische und schleimige Flüssigkeit mit dem Puppeninhalt verbunden. Nun aber lässt sich die Made nicht einfach von der Schwerkraft fallen. Nein, ihre Bewegung des Abseilens ist eine durchaus aktive. Es scheint, wie wenn sie noch in einer gummigen Fruchtblase stecken würde, die sich mit jeder ihrer Bewegungen nur dehnt und dehnt zu einem schlauchartigen Seil. In diesem Schlauch nun kriecht sie hängend sozusagen zu Boden, ohne aber den Anschein zu machen, das am Hinterteil anhaftenden Seil abzuschütteln, Nein es wird mit strickenden Bewegungen gleichzeitig festgehalten und in die Länge gedehnt. Man könnte sich auch ein Käsefondue vorstellen. Nehmen wir an wir würden in einem gigantischen Käsefonduetropfen an einer Decke kleben über einem Abgrund. Nun würde eineseits der Käse an uns und an der Decke kleben. wir würden uns aber mehr und mehr von der Decke an der wir uns nicht festhalten können, lösen und den Käse zwischen uns und der Decke zu einem Faden ziehen. Womit könnten wir nun verhindern, dass wir gleich abstürzten. Wohl nur, indem wir versuchten den Faden mit gezielten Bewegungen so zu dehnen, dass er einerseits noch weich und elastisch bleibt und andererseits an uns festkleben bleibt, bis wir am Boden angelangt sind. Etwa so habe ich dieses Seil verstanden.

Die Raupenfliege enthält auch das Thema der Umkehr einer Entwicklung. Aus einer Puppe schlüpft plötzlich eine Raupe. Also ein Schritt zurück in der Entwicklung. Und bei dieser Umkehr wandelte sich der Schmetterling in eine Fliege. Weshalb sollten wir nicht annehmen, dass es der Schmetterling selbst ist, der sich da als Made abseilt? Ja, es könnte doch sein, dass er nun im Puppenstadium plötzlich das Bedürfnis hat nochmal kurz Raupe zu sein. Das wäre dann wie eine Flucht aus dem Gefängnis und das Seil die Bettlaken, die aus dem durchsägten Gitterstäben in den Hof baumeln. Bei dieser Flucht büsst der Schmetterling seine Hoffnung ein. Und wird zur Fliege, die in ihrer Erscheinung eigentlich vielmehr einer Raupe des Tagpfauenauges gleicht. Auch sie sind doch fast durchgehend schwarz mit schwarzen langen Borsten. Dann ist die Fliege eine fliegende Raupe des Tagpfauenauges? Also doch ein Schmetterling!

Heute an diesem regnerischen Herbsttag ging ich Einkaufen. Mit den Fliegen im Kopf und dem Einkaufswagen trottete ich über feuchte Blätter hinunter zur Ackerhalle. Im Cafe Cathrin trank ich eine Tasse Kaffee. Da sassen drei Männer an der Theke und tranken Bier. Der eine rief plötzlich : „ Ich verstehe das nicht, weshalb die hässlichsten Männer immer die schönsten Frauen haben.“ Sein Kollege klopfte ihm auf die Schulter, „Es wird schon wieder!“. Gut, es liegt mir nichts daran diesen Satz von hässlichen Männern mit den schönsten Frauen zu widerlegen. Und ehrlich gesagt wäre ich auch der falsche Mann dazu. Wenn aber dieser Satz stimmt, dann hiesse es doch auch, dass eine männliche Fliege eine wunderschöne Frau haben müsste, so hässlich, wie er aussieht. Ja, der Fliegerich müsste also wohl mit einer Schmetterlingsdame verheiratet sein. Und so hatte der Biertrinker ja seinen Spruch wohl auch gemeint. „Weshalb fliegen die Schmetterlingsdamen immer auf die Fliegenmänner herein?“ Dann wäre aber Hässlichkeit der Körper des Inhalts. Und Schönheit der Inhalt des Körpers. Die Fliege dann also, in Abwesenheit von Aesthetik, ein Vehikel des Inhalts, der borstig und ekelhaft in tiefstem Schmutz gross geworden ist. Der Schmetterling aber in Abwesenheit eines Inhalts, empfangender Bote des Aesthetischen. Und so würden die beiden ein ziemlich ungleiches Paar abgeben, das sich aber idael ergänzen könnte. So gesehen gehören dann Schmetterlinge und Fliegen durchaus zusammen. Etwa so wie auch die schwarzen, warzigen, borstigen Raupen des Tagpfauenauges und der Schmetterling des Tagpfauenauges ja zusammengehören und man sich da auch fragt, weshalb die Raupe eines so schönen Schmetterlings nicht auch einigermassen anständig aussehen kann.  

 

 
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