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Maden
aus Puppen des Tagpfauenauges, Inachis io. Generation, die im Freien in
der Verpuppungsunruhe gefangen wurden. Auffälliger Unterschied zu den
Raupen: Die Maden häuten sich nicht, sie erstarren sozusagen zur Puppe.
Da sie im Inneren einer Raupe fressen, benötigen sie also selbst keine
Haut. Sie haben deshalb auch eigentlich kein unterscheidbares
Erscheinungsbild. Die Made trägt kein Kleid, sie ist gesichtlos, anonym,
und selbst ihr Inneres ist nur indifferente Masse, lässt keine Schlüsse
zu auf ihr späteres Äusseres. Eine Fliegenmade ist eine Fliegenmade. Nur
durch die Beobachtung der Orte an denen sie Auftauchen und wo sie fressen
ist ein solcher Schluss zu ziehen. Die Maden der Raupenfliege sehen genau
so aus wie die Maden, welche man zum Fischen benötigt, die Fleischmaden.
Die
Raupenfliege aus der Familie der Tachinidae hat eine Körperlänge von 10
Milllimetern, eine stattliche, kräftig gebaute, haarige Erscheinung, fast
schwarz. Ihre Hauptmerkmal ist die borstige, glänzend schwarze Behaarung,
vor allem des letzten Hinterleibssegmentes und des Raumes zwischen den
Facettenaugen. Aber recht eigentlich ist der ganze Körper der Fliege
behaart, selbst Beine und Flügelansätze. Ausgenommen sind nur das grosse
halbrunde, weissliche Postscutelum und die hellbraunen Flanken des Hinterkörpers.
Die Flügel sind durchsichtig und tragen mit Ausnahme der fast schwarzen,
feinen Adern keine Zeichnung. Weder ein Saug- noch ein Stechapparat ist
von aussen erkennbar. Die Puppe der Raupenfliege ist ca 9 Millimeter lang
und hat einen Durchmesser von ca. 4 Millimetern. Sie hat die Form einer
Kapsel oder einer Tonne mit abgerundeten Enden. Kopf und Afterteil der
Puppe sind kaum zu erraten, ausser in der Struktur der 8 Ringe, welche die
Segmente des Insekts erahnen lässt. Diese Segmente erscheinen aber erst
in der Verpuppung. Zuvor ist in der Made nicht mal diese Struktur
sichtbar. Die Puppenhaut der Raupenfliege ist robust, dick und stabil. Sie
soll offenbar auch Druck aushalten und jedwelche Angriffe mechanischer Art
von Aussen. Nach dem Ausschlüpfen der Fliege ist die zurückbleibende
Puppenhaut nur wenig elastisch, splittrig, brüchig. Mit dem Innendruck
der Körperflüssigkeit stellt sie aber einen äusserst unempfindlicher
Panzer dar, durchsichtig zwar aber von dunklem braunrotem Ton. Es ist
verwunderlich, wie innerhalb von Minuten die pigmentlose, gummige, weisse
Haut der Maden an der Luft zu diesem fast schwarzen Panzer aushärten
kann. Dies kann nicht alleine auf den Lufteinfluss zurückzuführen sein,
denn Maden von anderen Fleischfliegen, die tagelang an der Luft leben
bleiben dennoch eine ganze Weile Maden und verwandelten sich erst nach
einer bestimmten Zeit plötzlich zu diesen schlagfesten Kapselpuppen. Und
selbst Maden, die in Alkohol oder Wasser gegeben werden verpuppen sich.
manche allerdings nur teilweise..
Die
Eigenschaft hatte ich als zehnjähriger Bengel für meine Zwecke zu nutzen
versucht. Damals besass ich als Zimmergenossen einen Laubfrosch, der in
einem Terrarium sein einsames Leben fristete. Meist klammerte er sich
regungslos und sattgrün glänzend mit seinen niedlichen Händen und den
feinen, langen Zehen, die in kleinen kugeligen Fingerbeerchen endeten -
man kennt sie aus den Zeichnungen der Märchenfrösche-,
an einem Aste fest. Seine einzige Freude bestand in einem reich
gedeckten Tisch, den ich jeden Tag mithilfe eines Netzes - meist ein
gebrauchter Strumpf meiner Mutter um eine Drahschlinge und an einem
Stclken befestigt - über den
Wiesen zu fangen hatte: Kleine Mücken, grosse Stechmücken, fliegende
Blattläuse und dergleichen mehr. Dies ging solange gut, als ich nach der
Schule jeweils für den kleinen Laubfrosch auf die Jagd gehen konnte. Doch
dann nahten die grossen Schulferien und wir beabsichtigten zwei Wochen
davon in einem Zelt im Tessin zu verbringen. Was aber war da für die
schnuckelige Amphibie zu tun, die mich vom Tage des Bekanntwerdens der
baldigen Abreise an, mit immer traurigeren und trostloseren Augen
anzugucken schien, dass es mir hundelend zu Mute war und ich nach einem
Ausweg für die bevorstehende Fastenzeit meines Lieblings suchte. Da
erinnerte ich mich meiner ebenso ausgedehnten wie erfolglosen Abenteuer
als Petrjünger. Mein Lieblingsufer, an dem ich jede Ecke des Wassers
kannte, an welcher keine Fische zu fangen waren, lag beim Zürihorn. Da
erbettelte ich mir jeweils von den alten, bis zu den Zähnen gerüsteten
Profis, ein paar Köder-Maden, um die vom vielen Brot bereits verwöhnten
und recht eigentlich wohlstandsverwahrlosten Weissfische, Schwalen,
Rotfedern und Leugel doch noch an meinen Angelhaken zu kriegen. Ich stand
vor einem schwierige Konflikt. Einerseits wollte ich etwas fangen.
Andererseits hatte man mir aber verboten, je nochmals Schwalen und
Rotfedern nach hause zu bringen, da man pro Exemplar mindestens eine
Stunde zur Entfernung der Gräten aufwenden musste. Wofür sollte man sich
also anstrengen, wenn doch nur Tadel zu erwarten wäre. Meist war ich also
ebenso glücklich wie die Fische, dass wir uns nichts angetan hatten.
Sobald die Tinguelymaschine um elf Uhr vormittags zu rattern begann,
schmiss ich meine Habseligkeiten in eine Plastitasche und fuhr mit dem
Tram nach Hause Da blieb dann die Plastiktasche unauffällig und
unbeachtet liegen, bis die übriggebliebenen Maden sich verpuppt hatten
und daraus Fliegen geworden waren, die zum Entsetzen meiner Mutter plötzlich
in grossen Scharen mein Zimmer bevölkerten. Die nachfolgende Diskussion
muss mir soviel Eindruck gemacht haben, dass ich mich in der
existentiellen Notsituation meines Laubfrosches, daran detailliert
erinnerte. Ich fuhr sogleich in die Stadt und kaufte im vornehmsten
Anglergeschäft am Bürkliplatz eine Dose frischer Köder-Maden. Mein Plan
war perfekt. Da ich aus eigener Erfahrung wusste, dass die Maden zur
Verpuppung und zum Ausschlüpfen etwa eine Woche Zeit benötigten, gab ich
nun täglich ein paar der Maden in ein kleines, trockenes Gefäss ins
Terrarium. Wenn meine Rechnung aufginge, dann müssten die Maden exakt während
meiner ferienbedingten Abwesenheit und zwar in schönen Tagesabständen
ausschlüpfen. So hätte mein Laubfrosch nicht zu hungern. Einige Tage
ging das gut, bis meine Mutter im Kühlschrank ein seltsames Paket
entdeckte, eine Art von Dose, die sorgfältig mit Aluminiumfolie umwickelt
war, um sie da zwischen dem ebensoverpackten Käse, der angeschnittenen
Zwiebel und dergleichen zu tarnen. Mutters scharfem Blick aber entging
dieser Fremdkörper zwischen dem Gemüse, der Milch, den Eieren, und der
Butter nicht. Sie wunderte sich, was sie da wohl so lange vergessen hätte,
öffnete das Paket und .was sie da zwischen Haferflocken herumkriechen sah
muss auf sie traumatisch gewirkt haben. Es gab ein Riesengeschrei und all
meine Erklärungsversuche fruchteten wenig, dass die Maden völlig unschädlich
seien, ganz saubere Tierchen und dass ich sie doch - um Gottes Willen- an
einem kühlen Ort aufbewahren müsste, damit sie sich nicht sogleich
verpuppten. Meine Mutter verlangte ultimativ die Entfernung meiner Maden
aus ihrem Kühlschrank. Ich gab also etwas enttäuscht über die fehlende
Solidariät mit meinem Laubfrosch den Rest der unterkühlten Maden ins
Terrarium und glücklicherweise begannen dann schon bald die Ferien, damit
sich die gereizte Athmosphäre im Umkreis des Kühlschrankes etwas
entspannen konnte. Die Ferienzeit war aufregend wie immer, auch dank des
Umstandes, dass ich mithilfe der Maden sogar mein schlechtes Gewissen
gegenüber dem zurückgebliebenen Wohnungshüters auf seinem Aste
losgeworden war. Bei meiner Rückkehr nach Zürich und beim Betreten
meines Zimmers war mir schlöagartig klar, was der nun bevorstehende
Schulallltag bedeuten würde.. Es bot sich mir ein Bild des Grauens: Mein
Terrarium war völlig schwarz, erfüllt von Fliegen, ihren punktförmigen
Kotspuren an den Scheiben auf den Blättern des Astes. da drin fast nicht
mehr sichtbar unter dem wirren schwarzen Gebrumme sass in eine Ecke zurückgedrängt
völlig verängstigt mein Laubfrosch zwischen der erdrückenden Übermacht
seiner Nahrung. So, wie ich mich macnhmal fühlte gegenüber der Flut uneröledigter
Hausaufgaben. Ich musste mit den Maden wohl etwas übertrieben haben. Mein
erbarmungswürdiges Amphibium hatte bestimmt zwei Wochen gefastet, weil es
vor lauter fetter Fliegen den Magen runiert und den Appetit verloren
hatte.
Um
zu den Maden der Raupenfliegen zurückzukommen. Sie waren also so fest in
ihrer Puppenhaut geschützt, dass die wenigsten Fressfeinde dieser am
Boden liegenden Tönnchen etwas mit ihnen hätten anzufangen wissen, nicht
einmal mein verflossener Laubfrosch. Während eine Made für Ameisen ein
leichtes Opfer ist, können sie den armierten Wänden der Puppe nichts
anhaben. Auch die Puppen dieser Raupenfliege lassen fast keine Rückschlüsse
auf das zu erwartende Insekt zu. Sie sind so uniform wie die Erscheinung
der Maden. Das ist doch ein markanter Unterschied zu den Puppen der
Schmetterlinge. was haben wir doch nicht alles den armen Fliegen angetan,
sie den Fröschen verfüttert, als Maden den Fischen, die Flügel
ausgerissen und in Spinnenetze geworfen, mit der Klappe am schönsten
weissen Vorhang der Grosseltern zerquetscht. Und erst die Fliegenbänder
in den Ställen, diese klebrigen, spiralförmig ausgezogenen
Papierstreifen, an denen die armen Viecher batallionsweise verendeten,
kaum waren sie der im wohlig warmen Mist liegenden Puppe entkrochen.
19.08.
Überraschung bei einem Spaziergang auf dem Mauerstreifen. 14.44 bis 16.00
Uhr Wildfang von Raupen in der Unruhe. Zwischen Strelitzer und
Ackerstrasse fielen mir die schwarzen Leiber der Raupen des Tagpfauenauges
auf den hellen Gräsern auf. Als ich um mich guckte, waren überall diese
schwarzen Raupen, auf Beifuss waren sie gestiegen, auf einzelne dürre
Grashalme, die sich unter dem Gewicht druchbogen. Bei der Hitze!Und wie
auffällig! Wahnsinn, dieses Unternehmen, Die totale Selbstvergessenheit.
In einer wilden, sinnlosen Flucht kriechen sie von den Gebüschen der
Brennessel weg. duch das Gewirr von Gräsern, an vertrockneten
Hundekothaufen vorbei. Bis zu zehn Meter weit weg von der Futterpflanze
sah ich sie. An diesem Gebüsch habe ich sie zuvor nie festgestellt. Sie müssen,
um vor der Hitze zu fliehen, in Wurzelnähe der Nesseln ihr Versteck
gesucht haben. Nun war Exodus. Interessanterweise ist kein einziger Vogel
zu sehen. Selbst die sonst so verbreiteten Tauben haben sich vor der Hitze
verkrochen.
Um
17.05 alles ruhig. Raupen ruhen an der Decke des Geheges. Ca 50 Stück.
Beim letzten Spaziergang keine Raupe mehr zu sehen.17.57 Uhr. Sie müssen
schon einen Ort gefunden haben, irgendwo zwischen den Gräsern.
20.8.
Als ich gegen Abend und in der Nacht die Verpuppung der Raupen filmte,
fielen mir plötzlich zwei drei kleine Schlupfwespen auf, die sich an den
frisch verpuppten Raupen zu schaffen machten. Wahrscheinlich versuchten
sie, durch die noch ungehärtete Haut der Puppe mit einem Stachel Eier ins
Innere abzulegen. Ich versuchte die Wespen herauszujagen. Erwischte drei
Stück. In Zukunft werde ich mir für die Verpuppungskästen und Aufzugskästen
Gaze besorgen müssen mit einer Maschenweite, durch welche die winzigen
Schlupfwespen (Länge ca. 2 mm) nicht hindurch können. Es könnte sonst
sein, dass am Schluss nur Schlupfwespen ausschlüpfen und keine
Schmetterlinge.
24.8.
Grosser Schreck am Morgen. Von fast allen Puppen hängt ein schleimiger ,
weisser Faden herunter. Darunter, auf der Alufolie, die ich zum Auffangen
des Mekoniums ausgebreitet hatte, kriechen überall fette, weisse Maden.
Einige haben sich schon zu dick servelatartigen Puppen verwandelt. Und
schliesslich sehe ich, wie gerade eine Made die Puppe eines Schmetterlings
verlässt. Sie zwängt sich durch einen Riss in der Seite aus der
Schmetterlingspuppe und lässt sich an einem klebrigen Schleimfaden
herabgleiten. Drei dieser Maden lege ich noch lebendig in Alkohol. Darin
verpuppen sie sich dennoch sogleich, kaum haben sie sich aus der Puppe des
Schmetterlings abgeseilt. Ich war bestürzt, angeekelt und auch wütend.
Die Tragik neigt zur Verdrängung. Habe mir lange überlegt, ob ich Azita
davon erzählen soll. Aus einer Puppe schlüpft eine Raupe! Dem Aussehen
nach muss aus den Puppen und Maden eine Fliege werden. Ich werde die
Puppen jetzt mal separat und möglichst gesichert aufbewahren, um das
Insekt zu untersuchen, welches da aus der Servelatpuppe schlüpft. Die
parasitische Fliege hat also bereits die Raupen infisziert. Sie lebte
schon in den Raupen. Die Raupen des Schmetterlings konnten sich noch in
aller Hetzte verpuppen, doch in der Ruhe wurden sie in der Hülle des
Schmetterlings aufgefressen von der Fliegenraupe. Ein furchtbarer Gedanke.
Es ist kaum Trost zu finden für diese Beobachtung, wenn man vom
Schmetterling ausgeht. Das Wesen der Enttäuschung liegt in der Erwartung
und Identifikation. Die Entäuschung ist deshalb Folge einer Wertung. In
der Erwartung eines Schmetterlings ist die Erscheinung der Made der Fliege
aus der Puppe ein ohnmächtiges Grauen. Zuerst überkommt einem die Lust,
diese ekligen Maden alle zu zertreten, die Puppen zu zerquetschen,
auszuradieren. Möglichst schnell weg damit, ausmerzen, verbrennen! Alle
Bedrohungen für die Erfüllung der eigenen Erwartungen sollen eliminiert
werden. Die Made ist ein Tabu des Schutzes eigener Absichten. Es kann
keinen Sinn machen, als Menschen Schmetterlinge schützen zu wollen. Diese
Versuche sind immer nur Ausdruck des eigenen absichtsvollen zweckhaften
Zugriffs auf das Wesen des Schmetterlings. Wie mit meinem Mekonium. Nun
sind also gegenüber meiner eigenen Idee, Puppenharn zu sammeln, plötzlich
Feinde aufgetreten. Diese Feinde fressen im Inneren der Idee. Kann man mit
einem solchen Schrecken leben. Und wie? Wahrscheinlich nur, wenn man sich
eingesteht, das Wesen des Schmetterlings eben nicht ganz erkannt zu haben,
weil dazu die Bedrohung durch die Schlupfwespen und Raupenfliegen gehört.
Die Raupenfliege handelt ihrem Wesen gemäss unschuldig und ist als
Parasit auf die Schmetterlingsraupen angewiesen. Sie ist selbst nicht
weniger bedroht oder gefährdet als der Schmetterling. Es gibt keinen
Richter für diesen Vorgang, dass da fünfzig Schmetterlingspuppen von
Raupenfliegen aus ihrem Inneren zerfressen wurden. Und doch ist das
Empfinden da, dass das Grausame im Wesentlichen die Täuschung des
Schutzes, das Sicherheitsgefühl ist. Das Beruhigende wird mit dieser
Erkenntnis dann Beunruhigend. Das Beunruhigende aber drängt zum Schutze,
der wiederum nur Täuschung ist. Nach dem Erlebnis dieser Madenabseilung
aus den Schmetterlingspuppen wird die Besorgnis wachsen, wird sich
vielleicht sogar Hoffnungslosigkeit breitmachen. Die Sehnsucht nach dem
Ausbruch aus diesem Teufelskreis kann so in Betäubung führen oder auch
in eine Flucht ins Jenseitige. Ist es nicht unglaublich schwierig den
Verlust des Schmetterlings mit dem Leben der Fliege zu trösten?
Nun
aber schien mir auch viel klarer, weshalb die Raupen so unbedacht und
ungeschützt und so kamikazeartig in die Verpuppung drängten. Sie haben
sich den Vögeln geradezu angeboten. Als wollten sie sagen : „Fresst
mich bitte, damit die Made der Raupenfliege in mir stirbt, und sie nicht
noch weitere Raupen befallen kann.“ Ein Schutz also für die eigene Art.
Eine letzte verzweifelte Tat, sich selbst zu opfern für das Wohl der
Gesunden?
Ja,
die Fliege muss in besonderem Masse, den Hass der Menschen erworben haben.
Sie scheut sich nicht, auf den stinkendsten Exkrementen zu äsen und
danach gleich in die Konfitüre auf dem Sonntagstisch zu fallen. Ihren
Maden scheint der fürchterliche Leichengestank eines verendeten Karpfens
am Strand die gerade richtige Kinderstube zu sein. Ekel, Schmutz,
Verwesung und bestialische Gerüche scheinen ihnen fremde Begriffe zu
sein. Man könnte Fliegen als Lufthyänen bezeichnen. Leichenschänderpunks.
Ihre Futternische ist das, was sonst in weiten Teilen der Tierwelt als
Nahrung tabu ist. Das Gefühl, sich durch Kontakte mit einer Fliege zu
beschmutzen ist so ausgeprägt, dass sogar ein Gerät erfunden wurde, um
sie berührungslos zu eliminieren, die Fliegenklatsche. In der
Weltliteratur erscheint sie meines Wissens neben der besagten Abhandlung
über das Fliegenpapier in noch mindestens zwei bedeutsamen Kunstwerken.
In einem Ostfriesenwitz, der mit der Frage beginnt : „Weshalb ist es in
Ostfriesland Sitte, bei einer Hochzeit eine gefüllte Mistgarette vor dem
Brautpaar herzuschieben? Antwort : Damit die Fliegen nicht an die Braut
gehen.“ Und dann erinnere ich mich noch an das Cover eines Rolling
Stones Bootlegs. Darauf sind die fünf fröhlichen Musikanten als alte,
abgewrackte, versoffene Obdachlose abgebildet, die einer Pissoirwand
entlangschwanken. An die Wand hat jemand geschrieben : „Eat shit:
10’000’000 flies can´t be wrong!“ Am Image einer Fliege ist also
beinahe nichts mehr kaputt zu machen. Selbst die so heimelige Stubenfliege
wird ihrer näheren und fernere Verwandtschaft wegen gerne gehasst. Sie
mag mit Anlass dazu gegeben haben, dass man in den hygienischen Fünzigerjahren
das Wort „Stube“ in „Wohnzimmer“ umbenannte. Umso erstaunlicher,
dass die Fliege einen so harmlosen Namen trägt, der nur auf ihr
Herumfliegen Bezug nimmt, was ja noch das akzeptabelste ist am Wesen der
Fliege aus Sicht der städtischen Bevölkerung. Die Fliege ist Hinweis auf
die Nahrung der Antinahrung. Das, was am konträren Punkt zur Nahrung
steht, ist für sie genau Nahrung. Das Verdorbene, das Ausgeschiedene,
Abfall.
Die
Raupenfliege hat völlig andere Bedeutungen als die Schlupfwespen. Die
wichtigsten Unterschiede sind, dass die Raupenfliegen sich einzeln in den
Raupen entwickeln und sich auch einzeln verpuppen. Die Zerstörung der
Raupe und Schmetterlings ist nicht ein Gemeinschaftswerk, sondern das Tun
einer einzelnen Made, die in der Puppe genau die Portion Vorräte für ihr
Leben vorfindet. Die Puppe als eine Art aufgehängtes unverderbliches
Vorratsfleisch für die Made. Während die Schlupfwespen sich von den
Fettpolstern der Raupen ernähren und die Raupe erst nach dem Austritt der
Maden aus dem Körper verendet, gehen die Fliegenmaden einen Schritt
weiter. Sie haben ihr Fresswerk zwar auch schon in der Raupe begonnen,
doch um zur ganzen Grösse auszuwachsen müssen sie der Raupe die
Verpuppung noch erlauben, denn die Made benötigt den Schutz des Körperinhalts
der Puppe. Erst da stirbt der angehende Schmetterling. In der Puppe. Dann
ist es auch nicht mehr nötig, dass die Puppe lebt, die Körpersäfte sind
ja so sorgsam eingepackt, dass sie auch tot noch einige Tage frisch
bleiben, bis zur Abseilung der Made.Und dass sie der Schmetterlingsraupe
die Verpuppung noch erlauben. Dann aber sich bei Nacht und Nebel aus ihr
abseilen und im Gras verschwinden. Die Puppe mit weissen herunterhängenden
Faden deutet auf einen Ausbruch hin. Sieht sie nicht wie zusammengeknotete
Betttücher, die aus dem Fenster einer Gefängniszelle ins Freie führen.
Abhauen. Eine Täuschung ist damit auch angezeigt. Denn die Puppe des
Schmetterlings bleibt trotz des Frasses der Made in ihr drin, vollständig
enthalten. Und es zeigen sich fast keine Anzeichen, dass sie nur noch
tote, geplünderte Mumie ist. Ein geplündertes Pharaonengrab. Alles, was
zum Übergang des Pharaonen und für sein Leben in der andere Welt sorgsam
im Schutze einer Grabkammer verschlossen wurde, wurde heimlich
abtransportiert. Die Fliege hat mit dem Schatz die Fliege gemacht. Ist
verduftet. Sie will aber nicht, dass man das von aussen sieht. Nur das
Seil musste sie als Korpus delikti zurücklassen. Die Plünderung hat die
Seele des Pharaonen umgebracht. Nun wird er beim Übergang über den
Totenfluss ertrinken oder im Totenreich verhungern müssen, weil seine Schätze
nun im ägytischen Nationalmuseum in Kairo vergammeln. Die Räuber sind
wegen seiner Schätze gekommen, gestohlen haben sie aber seine Seele.
Betrachten
wir das Seil etwas genauer: Wozu dieses Abseilen aus der geplünderten Stürzpuppe?
Könnte sich die Made beim Sturz aus der Puppe etwa verletzten? Kaum, denn
sie besitzt doch eine ziemlich elastische Haut, sie ist nicht schwer. Und
das Seil reicht ja nicht bis zum Boden sondern nur ein paar Zentmeter
unter die Puppe, dann reisst es und die Made fällt dennoch ins Gras, wo
sie hastig Schutz und Deckung sucht, denn die Ameisen, die Wespen und
allerlei andere Feinde sind schon hinter ihr her. Das Gummiseil soll den
Bungyjumper, der da aus der Puppe kommt, aber dennoch auf sicheren Boden
bringen. Meist hängen ja Puppen nicht so hoch über dem Boden wie in
meinem Gehege, sondern versteckt in Ritzen und an Pflanzen festgemacht.
Die Made kann also mit diesem ein paar Zentimeter langen Gummiseil sicher
und ohne Sturz ein Blatt oder einen Stein erreichen, um sich dort zu
verpuppen. Und erst nach der Verpuppung rollt dann eventuell das
gepanzerte Tönnchen vielleicht vom Blatt und zu Boden, dann aber kann ihm
fast nichts mehr geschehen. Es scheint so fest, dass man darin ruhig über
die Niagarafälle hinunterstürzten könnte, was ja immer wieder als
Mutprobe geschieht, in solchen stabilen Tonnen, die mich an die
Fliegenpuppen stark erinnern.
Hochinteressant
ist auch die Bewegung der Made während des Abseilens. Zunächst also
sucht sie den Ausgang aus der Puppe. Er liegt nicht etwa wie man vermuten
würde am tiefsten Punkt der Schmetterlingspuppe, sondern immer an einer
Seite der Puppe und zwar am Ort, wo sich die Flügel des Schmetterlings
entwicklen sollten. Die feine Puppenhaut wird da aber nicht durchstossen
und kein Loch hineingefressen. Die Made verlässt sie durch einen Spalt,
der sich danach gleich wieder schliesst. Die Made aber klebt beim Austritt
noch an der Seite der Puppe und ist über eine zähe, elastische und
schleimige Flüssigkeit mit dem Puppeninhalt verbunden. Nun aber lässt
sich die Made nicht einfach von der Schwerkraft fallen. Nein, ihre
Bewegung des Abseilens ist eine durchaus aktive. Es scheint, wie wenn sie
noch in einer gummigen Fruchtblase stecken würde, die sich mit jeder
ihrer Bewegungen nur dehnt und dehnt zu einem schlauchartigen Seil. In
diesem Schlauch nun kriecht sie hängend sozusagen zu Boden, ohne aber den
Anschein zu machen, das am Hinterteil anhaftenden Seil abzuschütteln,
Nein es wird mit strickenden Bewegungen gleichzeitig festgehalten und in
die Länge gedehnt. Man könnte sich auch ein Käsefondue vorstellen.
Nehmen wir an wir würden in einem gigantischen Käsefonduetropfen an
einer Decke kleben über einem Abgrund. Nun würde eineseits der Käse an
uns und an der Decke kleben. wir würden uns aber mehr und mehr von der
Decke an der wir uns nicht festhalten können, lösen und den Käse
zwischen uns und der Decke zu einem Faden ziehen. Womit könnten wir nun
verhindern, dass wir gleich abstürzten. Wohl nur, indem wir versuchten
den Faden mit gezielten Bewegungen so zu dehnen, dass er einerseits noch
weich und elastisch bleibt und andererseits an uns festkleben bleibt, bis
wir am Boden angelangt sind. Etwa so habe ich dieses Seil verstanden.
Die
Raupenfliege enthält auch das Thema der Umkehr einer Entwicklung. Aus
einer Puppe schlüpft plötzlich eine Raupe. Also ein Schritt zurück in
der Entwicklung. Und bei dieser Umkehr wandelte sich der Schmetterling in
eine Fliege. Weshalb sollten wir nicht annehmen, dass es der Schmetterling
selbst ist, der sich da als Made abseilt? Ja, es könnte doch sein, dass
er nun im Puppenstadium plötzlich das Bedürfnis hat nochmal kurz Raupe
zu sein. Das wäre dann wie eine Flucht aus dem Gefängnis und das Seil
die Bettlaken, die aus dem durchsägten Gitterstäben in den Hof baumeln.
Bei dieser Flucht büsst der Schmetterling seine Hoffnung ein. Und wird
zur Fliege, die in ihrer Erscheinung eigentlich vielmehr einer Raupe des
Tagpfauenauges gleicht. Auch sie sind doch fast durchgehend schwarz mit
schwarzen langen Borsten. Dann ist die Fliege eine fliegende Raupe des
Tagpfauenauges? Also doch ein Schmetterling!
Heute
an diesem regnerischen Herbsttag ging ich Einkaufen. Mit den Fliegen im
Kopf und dem Einkaufswagen trottete ich über feuchte Blätter hinunter
zur Ackerhalle. Im Cafe Cathrin trank ich eine Tasse Kaffee. Da sassen
drei Männer an der Theke und tranken Bier. Der eine rief plötzlich : „
Ich verstehe das nicht, weshalb die hässlichsten Männer immer die schönsten
Frauen haben.“ Sein Kollege klopfte ihm auf die Schulter, „Es wird
schon wieder!“. Gut, es liegt mir nichts daran diesen Satz von hässlichen
Männern mit den schönsten Frauen zu widerlegen. Und ehrlich gesagt wäre
ich auch der falsche Mann dazu. Wenn aber dieser Satz stimmt, dann hiesse
es doch auch, dass eine männliche Fliege eine wunderschöne Frau haben müsste,
so hässlich, wie er aussieht. Ja, der Fliegerich müsste also wohl mit
einer Schmetterlingsdame verheiratet sein. Und so hatte der Biertrinker ja
seinen Spruch wohl auch gemeint. „Weshalb fliegen die
Schmetterlingsdamen immer auf die Fliegenmänner herein?“ Dann wäre
aber Hässlichkeit der Körper des Inhalts. Und Schönheit der Inhalt des
Körpers. Die Fliege dann also, in Abwesenheit von Aesthetik, ein Vehikel
des Inhalts, der borstig und ekelhaft in tiefstem Schmutz gross geworden
ist. Der Schmetterling aber in Abwesenheit eines Inhalts, empfangender
Bote des Aesthetischen. Und so würden die beiden ein ziemlich ungleiches
Paar abgeben, das sich aber idael ergänzen könnte. So gesehen gehören
dann Schmetterlinge und Fliegen durchaus zusammen. Etwa so wie auch die
schwarzen, warzigen, borstigen Raupen des Tagpfauenauges und der
Schmetterling des Tagpfauenauges ja zusammengehören und man sich da auch
fragt, weshalb die Raupe eines so schönen Schmetterlings nicht auch
einigermassen anständig aussehen kann.
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