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Brief vom 27.8.1998

Lieber Urs

Diese Woche hatte ich einiges zu tun mit den Bildwegen in Braunschweig und mit dem "Weg zur Heimat" Nummer Drei in Zürich. Deshalb kam ich nicht dazu, in hinreichender Musse meinen Vorschlag für das Kunstgeschenk an die Stadt zu machen. Ich möchte dies hiermit tun, aber ein paar Gedanken vorausschicken, damit Du nachempfinden kannst, aufgrund welcher Überlegungen dieser Vorschlag entstanden ist.

Die Bedingungen, unter denen heute Kunst zustande kommt, sind schwierig. Nicht schwieriger als irgendwann zuvor, auch nicht schwieriger als irgendwann in der Zukunft, aber schwierig, im Sinne der ganz ernsthaften Frage: Wozu dient heute die Kunst? Dieselbe Frage stellt sich auch für den Betrachter der Kunst. Er kennt dieselbe Schwierigkeit wie der Künstler und fragt sich mit ihm: Wozu dient diese Kunst heute?

Dass Kunst dem Menschen dient, soll nicht weiter erörtert werden. Diese Voraussetzung gilt. Wo immer angenommen wird, Kunst sei das absichtlose und nutzlose schlechthin, und sei an und für sich etwas, also l`art pour l`art, da können wir nicht mitreden. Wenn der Segen, der die Kunst für den Menschen bedeutet, als nackter Nutzen beargwöhnt wird und daraus gefolgert wird, Kunst müsse unnütz sein, dann richtet sich solche Verweigerung letztlich immer gegen den Menschen und gegen seine Welt; als Zynismus, Ironie, Leidwerk. Vielleicht sind deshalb unsere Museen heute so erfüllt mit Unnützem, mit Installationen, die den Menschen aus den Räumen der Kunst zu vertreiben drohen, und mit Schrottskulpturen und "zweckentfremdetem Zeug".

Wenn wir uns mit dem Gedanken vertraut machen, der Stadt Zürich ein Geschenk der Kunst zu widmen, dann muss dies folgendes heissen: Das Geschenk ist eine ideelle Geste, die Materielles beinhaltet, aber weit über dieses hinausgeht. Wir zollen der Heimat einen Kredit der Kunst, aus Dankbarkeit und Freude über das Gelingen des Lebens und Zusammenlebens in ihr. Das Geschenk der Kunst ist somit Zeugnis unserer Dankbarkeit gegenüber dem Umfassenden der Gemeinschaft des Menschen. Das ist in der grossen Kunst ausgedrückt, auch wenn sie zuweilen so gottverlassen und einsam wirken mag. Das Vertrauen, das die Gemeinschaft in uns setzt, können wir ihr niemals zurückgeben. Wir können ihr nur unser Vertrauen schenken. Dies aber mit Taten. Das einzige, was wir aber auszudrücken vermögen ist die Stimmung der Empfänglichkeit in der Gegenwart: verbindliches Leben zwischen Vergangenem und zu Kommendem.

Wie könnte man das heute, oder zur Jahrtausendwende machen? Blicken wir kurz auf die Traditionen der Kunst im öffentlichen Raum, insbesondere in Zürich.

Schon vor 250 Jahren war Kunst im öffentlichen Raum Zürichs, ein Element des Andenkens, als Denkmal, und des Schmuckes dieser Stadt. Sie übernahm dekorative Aufgaben an Gebäuden, fand in der Gestaltung der Alltagsgegenstände ihren Niederschlag (als Design). Mit der Aufrichtung von freistehenden Statuen und Objekten war man seit jeher in Zürich sehr konservativ. So ist es eigentlich noch heute: Doch heute ist der Kunstmarkt anders oganisiert, sind potente Stiftungen und grosse Verläge da, die Kunstwerke der Stadt schenken möchten. Die Stadt kann diese Geschenke aber nicht annehmen, solange kein geeigneter Aufstellungsort vorhanden ist. Kurz: Kunst ist ein politischer Faktor. Da wir in einer Demokratie leben, hat das Volk letztlich ein Vetorecht gegen Kunst in der Öffentlichkeit. Dies zeigte sich beim Versuch den "Cube" von Sol LeWitt aufzustellen. Die Bahnhofshalle mit der Installation von Mario Merz und dem Popengel von Nikki de St Phalle sind Ausnahmen. Die Räumlichkeiten gehören der SBB.

Die Zeiten sind vorbei, in denen man eine "Heureka" aufstellen konnte. Dieser damals -1958 - bissige, ironische Zug der Kunst, der in den Werken von Jean Tinguely in heutiger Rezeption einen spielerischen Charakter angenommen hat, ist heute ausgereizt. Vierzig Jahre sind vergangen, eine neue Generation ins Land gekommen.

Ein Kunstgeschenk von Rahn und Bodmer an die Stadt müsste auffällig sein in einer anderen Dimension. Es müsste sensationell sein in Bescheidenheit. Und es müsste in den grösseren Zusammenhang der Festlichkeiten zur Zeitenwende gestellt sein. Es sind Zeiten des Resümierens der Zusamenfassungen. Es müsste die Geschichte des Stifters bebildern, aber in einer abstrahierten Form. Es müsste akzeptabel sein im Bild der Stadt, etwas Neuartiges, Besonderes, Einzigartiges. Und es sollte in der Gegenwart deutlich sein. Ein Ausdruck der Zeit im Jahr 2000.

Eine Skulptur aufzustellen: Das kann es nicht sein. Es trifft den Nerv des Heutigen nicht. Das Geschenk muss einen symbolischen Charakter haben, darf sich aber nicht in hohlen Symbolismen erschöpfen. Es soll für die Stadt als legitime Struktur der Autorität, aber auch für die Stadt als Summe ihrer Bewohner eine Bedeutung haben, indem es die Stimmung der Gegenwart zum Ausdruck bringt; einer Gegenwart allerdings, die Verbindlichkeit bedeutet zwischen tradiierten Werten und der Offenheit für das zu Kommende. Ein solches Kunstgeschenk an die Stadt soll einerseits die Repräsentanten der Autorität des Machthabens würdigen, wie auch jeden einzelnen Bewohner, auf den sich diese Macht stützt. Wenn in einer Demokratie Kunst stattfinden soll, kann nur dieses janusköpfige Argument zählen: Die Wähler und die Gewählten zu würdigen. Nicht die einen oder die anderen

Meine Gedanken gehen deshalb in die Richtung eines Gesamtkunstwerkes. Eine Vernetzung der Gestaltungen für die Festlichkeit. Und darin eine Dreiteilung:

1. Für die Bevölkerung
2. Für die Autoritäten
3. Für die Geschäftsfreunde der Bank Rahn & Bodmer

Diese Aufteilung führte mich zu folgenden Elementen:

1. Virtuelles Relief.
2. Buchunikat
3. Festschrift

 

Virtuelles Relief

Ein 120 Meter langer, 20 Zentimeter hoher Streifen aus Hologrammen. Abgebildet ist darauf ein durchgehendes stark dreidimensionales Relief, das in gegenständlicher Form eine Geschichte des Menschen in Zürich erzählt. Der Fries wird in den Handlauf eines Brückengeländers eingelassen. Bei Sonnenschein treten die Reliefs plastisch und goldglänzend aus dem Hologramm hervor und können von allen Seiten betrachtet werden. Es handelt sich um ein virtuelles Relief.

Die Hologramme werden von gegossenen Originalteilen hergestellt. Zunächst wird der gesamte Fries als miniaturisiertes Band in Goldschmiedewachs und Plastik hergestellt. Darauf werden die Formteile aufgetrennt und einzeln in Vakuumschleuderguss nach dem Prinzip der verlorenen Form in Silber gegossen. Nach der Reinigung und Politur der Teile des Miniaturfrieses werden diese Einzelteile holografisch aufgenommen. Die Holograme werden wieder zu einem Band zusammengesetzt, welches als virtueller Fries den Handlauf der Brücke schmückt.

Die gegossenen Originalteile des Frieses werden am Behältnis und auf dem Deckel des Buchunikates der Festschrift montiert. Die Streifen führen zweimal um das Behältnis herum. Die zentralen Elemente sind auf dem Buchdeckel montiert.

Der Deckel des Buchunikates enthält neben vielen Gussteilen, Verschlusschnallen, Abstandhaltern, Eckenschonern usw. ein Bild der Stadt Zürich in Feueremail auf Feinsilber. Um einen technischen Bezug zur Neuzeit herzustellen, könnte man im Inneren des Buches anstatt der Seiten einen Laptopbildschirm anbringen, und das Buch könnte ab CD-Rom umgeblättert werden. Das Erscheinungsbild dieses CD-Rom Buches müsste künstlerisch durchgestaltet werden und könnte auch für einen Internet-Auftritt verwendet werden.

Die Festschrift auf CD-Rom würde den Bezug zu den Hologrammen aufnehmen, nämlich die Umwandlung der materiellen Anwesenheit in die Form von Daten. Eine gedruckte Festschrift könnte dann sehr schlicht daherkommen, mit wertvoller Typografie, klassischem Satz und konservativem Einband.

Die Brücke

Das Bild zum Thema "Werte verbinden" ist die Brücke. Sie verbindet zuvor getrennte Ufer. Der Handlauf ist Abschluss des schützenden Brückengeländers. Der Handlauf befindet sich auf einer Höhe, die für das Anbringen eines solchen Reliefs geeignet wäre.

Das in seiner Art einmalige virtuelle Relief würde von einem Ufer zum anderen führen, so wie eine Geschichte als Spannung zwischen Anfang und Ende Werte vermittelt. Ein solches Kunstwerk wäre einerseits bescheiden, da es in seinen Dimensionen den Menschen nicht klein macht. Es wäre unaufdringlich, weil es keinen Platz für sich behauptet, sondern sich dem Funktionelen des Geländers einordnet. Es wäre sensationell, weil der Eindruck des plastischen Vorhandenseins eines Reliefs entsteht, das aus der völlig ebenen Fläche golden hervorleuchtet. Es ist zugleich Werk der Spitzentechnologie und traditionelles Kunstwerk. Es wäre eine aufsehenerregende Neuheit einer künstlerischen Ausdrucksform im öffentlichen Raum.

Der Betrachter könnte dem Geländer entlang spazieren und die vielen Details der bewegten Reliefsszene bewundern. Selbstverständlich wären auch andere Örtlichkeiten denkbar um das sehr lange Relief anzubringen. Die Brücke jedoch ist im Konzept erste Wahl.

Buchunikat

Das Buchunikat schlägt gleichfalls einen Bogen vom handwerklichen Meisterstück zum digitalen Zeitalter. Während sein äusseres Erscheinungsbild an einen mittelalterlichen Codex erinnert ( vergleiche dazu den Deckel des Buchunikats "Das Fischgericht") ist sein Inhalt nicht mehr materiell anwesend, sondern digital auf einer CD-Rom abgelegt. Beim Öffnen des Buches erscheint auf der linken Seite ein Flachbildschirm, auf der rechten Seite ein auf das Minimum reduziertes Bedienteil (Keine Tastatur). Die Darstellung der Festschrift auf dem Bildschirm ist äusserst sorgfältig und klassisch gestaltet. Es finden sich darin keine Schrägheiten, keine Gags und Tricks, jedoch vielfältige Ilustrationen, evtl auch Videos und Musik. Die Buchhülle besteht aus Birnenholz und ist mit zwei Bändern der in Silber gegossenen Originalteile des virtuellen Reliefs umgeben.

Festschrift

Die gedruckte Festschrift soll ein klassisches Buch sein. Die Anzahl der Bilder ist auf einige wenige reduziert. Die Texte sind sorgfältig gesetzt aus einer schönen Schrift, mit einem klassischen Einband und Schutzumschlag. In einer Tasche auf der 2. oder 3. Einbandseite könnte die CD-Rom beigefügt werden.

Dies also in kurzen Zügen mein Vorschlag. Ich habe den Bildweg ausgeklammert aus den weiteren Betrachtungen, obwohl sich auch mit ihm einige interessante Entwicklungsmöglichkeiten anbieten. Lass und also zuerst mal vom hier Beschriebenen reden.

 

 

 

 

 

 

 

 

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