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Das bunte Treiben in der Ansiedlung war in den Hintergrund gerückt, und meine Aufmerksamkeit wurde von einem der Brunnen angezogen. Ich ging unmittelbar in ihn hinein, und mir wurde bewusst, dass er der Brunnen des Feuers war. Von tief unten loderten die Flamen im Schacht. Dort musste irgendwo eine Quelle des Feuers sein, und der Brunnen wurde gebaut, um den Zugang zu diesem Element zu ermöglichen, um die unantastbare Hitze und Bewegung nutzbar zu machen. Plötzlich nahmen mich die Flammen in sich auf, verschlangen mich gar; es war jedoch kein zehrendes und lebendes Feuer, das mich da frass, sondern ein kühles Feuer, das eisig mich umfing. Fiebrig nahm ich an einem Geschehen teil, dem ich mich wehrlos ausgesetzt fühlte. Ich versuchte ihm zu fliehen, doch klebte ich am Boden und kam nicht von der Stelle fort .
Der Brunnen ist seit jeher das Zentrum jeder Kultur. Er versorgt die Menschen mit der Grundlage ihrer Ernährung, dem Wasser - dem Wasser als Zeit und Dauer auch, wie es in den Bildern der Mystik immer wieder heisst. Wir könnten aber den Brunnen als Urquell der Erscheinungsformen des Lebens überhaupt betrachten. Vier Elemente bilden die Ursubstanz des Lebens in der Welt: Erde, Wasser, Luft und Feuer. Vier Brunnen also sind diese Ecktürme auf dem Buchdeckel, und in den ersten, den Brunnen des Feuers, wird der Träumer nun hineingezogen.
Wir sprachen schon von der Urbedrohung, dass nämlich die Hitze unseres Lebens zu gross werden, das Fieber steigen und so eventuell alles vernichten könnte. Das Feuer ist ein Zeichen des Lebens, des warmen, flackernden, pulsierenden Daseins. Gefrässig ist es, das Leben; es verzehrt das Holz, frisst es hemmungslos und damit seine eigene Grundlage auf: die Zeit, Sekunde für Sekunde .
Die blosse Kraft des natürlichen Lebens mit seinen Fordernissen, sein erbarmungsloses Feuer, sein Kampf, sein Lachen des Sieges und sein Schluchzen des Versagens , all dies greift nach dem Menschen und umfängt ihn mit grausigem Schaudern. In seinem grausamen Walten ist das Lehen kalt, trotz seines unerträglichen Brennens: Fieber und Schüttelfrost. Die grauenhafte Bedrohung durch das Nichts wirkt im erhitzten Leben zuerst seine Schrecken, wie ein Albtraum. Hilflos fühlen wir uns diesem Angriff der kaltschnäuzigen Natur ausgeliefert; genau da aber wird der Boden bereitet für die Samen der Kultur. Das mitleiderregende Ausmass unseres Erleidens ist der Urstoff der Geschichte.
Mitleid begegnet dem mitgeteilten, vermittelten Leid. Die Kultur des Mitleids ist der Trost, der doch auch vermittelt. Er tut dies, indem er in die Mitte tritt von Leid und Mensch und dann, wie ein Wort, verbindet, was vorher unverbindlich war .

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