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Brennesselmann Entwurf
 

11.8.1995

„Schön“, dachte der einsame Mensch. „So schön möchte ich es auch haben wie die Gräser. Sie können einfach Wurzeln schlagen, wo es ihnen beliebt. Ich aber habe nur meine zwei Füsse und bin mein Leben lang auf ihnen wie ein Heimatloser dauernd unterwegs.“ Da unten ist ein Hof, den niemand willl. Voller Brennesseln ist er, keine Kuh will dort weiden. Wenn Du ihn haben willst, sag an, was kannst Du geben. Alles, was ich habe ist mein weniges Erspartes da in meinem Beutel. Er breitete ihn aus. Es fanden sich dort einige Geldstücke, ein Stück Brot, eine Flasche Wein und ein Buch. Lass mir alles hier und Du kannst den Bauernhaof haben. Abeer sag mir, was ist das für ein Buch. Es ist eins, das ich selbst geschrieben habe. Ich kann es Dir nicht geben, denn Du wirst es nicht verstehen. Entweder Du gibst es mir, sprach der Bauer, oder Du kannst den Hof nicht haben, wer weiss, vielleicht kann ich einst mit dem Buch etwas anfangen, wo doch Dein Geld keineswegs reicht, die Kosten zu tragen die ich bezahlt hatte für den Hof. So willigte der Mann schliesslich ein und zog in den heruntergekommenen Hof, der ganz umstanden war von mannshohen Brennesseln. Dort aber benahm er sich eigentlich in allem sehr sonderbar. Anstatt die Brennesseln auzureissen und etwas vernünftiges anzubauen, zum Beispiel Blumenkohl oder ..... Also mir fällt jetzt nur Blumenkohl ein. Ah ja, Mohrrüben natürlich und Salat. Jede Menge Salat hätte er dort anbauen könen. Das tat er aber nicht. Er sass zuerst wochenlang auf einem kleinen Bänklein und schaute den Brennesseln zu. Das was ich hier erzähle, das weiss man übrigens alles aus den Berichten der Bauern rundherum und von ihm selbst, aber er der Brennesselmann kommt dann später zu Wort. Also die Bauern schauten dem Treiben ziemlich belustigt zu. Und man fragte sich, was er da unten wohl tue. Zuerst einmal wuchs eigentlich nur sein Bart. ja, der Mann verwilderte auf diesem Hof. Er schaute bald selbst aus wie sein Hof. Nicht dass er hässlich war. Viele Frauen der Bauern sagten sogar, dass er eigentlich richtig gut aussehe. Das konnten sie aber nicht sagen, weil sonst die Bauern eifersüchtig wurden. Und wahrscheinlich hätten sie ja auch nicht verstanden, dass die Frauen gerade diesen verwahrlosten Mann irgendwie mochten, weil er so ruhig schien, aber auch so geheimnisvoll. Es muss etwas Anziehendes an ihm gewesen sein, wie er stundenlang auf der Bank sinnierte und immer wieder auch in den Brennesseln nach etwas suchte.  Besuch hatte er selten. Die Bauern überlegten immer, wovon dieser Mann wohl lebe. Er besass doch nichts mehr. Also musste er doch irgendwie versuchen Geld zu verdienen. Das aber tat er nicht. Er kaufte nie im kleinen Laden des Dorfes ein, auch sah man ihn nie in die Stadt gehen, oder von da irgendwelche Dinge mitzubringen. Es war ein Rätsel, wie er da überleben konnte. In seltenen Momenten, wenn man ihm auf einem Weg begegnete, war er sehr freundlich, lächelte sogar, eine ganz und gar sympathische Erscheinung. Das machte viele Argwöhner stutzig. Sein Lächeln und seine Freundlichkeit. Das passte doch in nichts zu einem Leben auf einem Wrack von Bauernhof, auf dessen Boden nur Brennesseln wucherten.

 

Das Dorf war früher eine ganz kleine Ansiedlung. Etwas erhöht über einem Tal, das sich tief eingeschnitten hatte. Steile Felswände fielen zum Fluss ab, mit Höhlen. Rössli, Schaukäserei, Waldlehrpfad. Da schrieb er kleine Tafel darauf schrieb er zum Beispiel „Opel“ und klebte ihn auf ein Auto, Er schrieb „Haus“, Kuhfladen usw. Man wusste zuerst nicht, wer das war, bis man eines Tages den Brennesselmann ertappte dabei. Die Bauern regten sich fürchterlich auf, denn ihr ganzes Dorf war schon verklebt mit diesen Zettelchen. Der Polizist kam, weil geklagt wurde, er hätte den Wagen des Wirtes beschädigt. So kam er auf den PolizeiPosten und wurde dort verhört. Wissen.

Er wurde dadurch in der Umgebung bekannt. Weil das für die Zeitungen ein gefundenes Fressen war. Schliesslich musste er darlegen, wovon er lebe. Das wollte er aber nicht sagen.

Die Tochter des Wirts hatte sich ja schon lange für den mann interessiert und sie war es auch, die als erste den Mut aufbrachte, ihn einfach einmal zu besuchen. Der vater wurde fast wahnsinnig , als er davon erfuhr. Er verbat seiner Tochter jeden Kontakt, aber es nützte nichts.

 

Er esse nur Brennesseln

 

Schickten die Tochter in ein Internat. Sie schrieb an den Berneselmann verschiedentlich Briefe, die heute bei den Akten liegen. Es waren insgesamt drei.

 

1.

2.

3.

 

Dann also schrieb die Tochter in ihrer Verzweiflung an die Eltern, dass der mann sie verführt habe. Und alles kam vor gericht. Dort erzählte der mann, dass er von beruf Hirte sei. Und er gab jeweils ganz lange Erklärungen dazu ab.

 

Er sei nicht Zurechnungsfähig und wurde in die Psychiatrische Klinik eingeliefert. Bei der Hausdurchsuchung fand man in den Räumen viele seltsame Dinge. da waren kleine Fläschchen mit Etiketten, überall vollgeschriebene Papiere. Ein Wirr Warr sondergleichen

 

Hungerstreik. Wasserstreik.

 

Ich möchte einen Vortrag halten.

Erstes über die Nahrung, Brennesseln essen. Ort finden. Brennessel sein, Schmetterlinge, raupen

 

Zweitens über das Wasser, Ortlosigkeit des Wassers

Er wurde also in sein haus zurückgelassen. Und erst als das Mädchen etwa 30 jahre alt war. Kam sie einst zu ihm um ihn zu besuchen, um sich zu entschulkdigen und schenkte ihm ein Buch. Es hiess Die Wandtafeln in der Blindenschule. Es hiess auch verlorene Horoskope und er nannte es aber auch verwilderte Gärten. Das war das Buch, das er selbst geschrieben hatte.

 

 

 

Dieses Buch hatte er natürlich selbst schon geschrieben. Und wenn man ihn darum bat, erzählte er einem auch die Geschichte. Man muss dazu aber noch sagen, dass der Mann wegen dem Gras in ihm, wahnsinnig viel wusste, und weil er ja auch Mensch war manchmal so viel durcheinandergeriet, dass er es zwar im Innersten verstand, aber veile seiner Freunde nicht. Das war für ihn wahnsinnig mühsam. manchmal verzweifelöte er fast. Man meinte ja auch immer, dass er nur Geschichten erzähle um die Leute zu unterhalten. Aber eigentlich wollte er ja ganz andere Dinge noch damit sagen.

 

Puppenharn

 

 

Du hast vielleicht gemeint, ich sei traurig. Aber es kam mir seltsam vor. Als ich in meiner Gruppe nach Rat fragte, sagte mir eine meiner Freundinnen, ich sei wohl reif für Puppenharn. Beschreibung der Landschaft. Alles dicke Leute, fette. Überfressene. Geiz. und Habsucht.

 

 

Ein Mann, der nur Brennesseln isst. Weshalb nur Brennesseln? Er liebe diese Pflanze. Und seit 30 Jahren ernähre er sich ausschliesslich von ihr. Er sei vom Wunsch beseelt selbst Brennessel zu werden. Und dies gelinge ihm mehr und mehr. Da er früh angefangen habe, bestünde er sozusagen nur aus Brennesseln. Zuerst als Salat und Tee und Gemüse gegessen. Seine Kleider aus den Fasern hergestellt. Sein Haus.

 

Geschichte erzählt. Er hätte aus Brennesseln Dünger hergestellt. Darauf Kohl und anderes Gemüse angebaut.

 

Raupen der Schmetterlinge gezüchtet. Sie an Hühner verfüttert. Er rauchte Brennesseln und trank Brennessel-Tee.

 

Er schrieb mit dem Puppenharn der Brennesseln. Sonne, Wasser und Brennesseln.

 

Was passiert in der Geschichte. Eine Liebesgeschichte.

 

Geschichte einer Frau. Die zu ihrer Tante aufßs Land zog, um sich von der Schediung zu erholen. Noch unentschieden. Kampf ums geld. Langeweile. Mutlosigkeit, Angst vor der Vergänglichkeit.

 

 
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