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KultUrknall | ||
Manifest Kulturknall. Erschienen im Zürcher Stadtmagazin BONUS Nummer 60, September 1993
Bildlegende: Zürich, 23. August 1993,
Limmatquai, 02.24
Uhr: Huldrych Zwingli (509 Jahre), Grossansicht der Originalseiten durch Bildklick
Kunst in Zürich ist unsichtbar: Denkmäler und Skulpturen stehen herum wie Autostopper, die niemand mitnimmt. Ulrich Zwingli vor der Wasserkirche: Man muss Japaner sein, um ihn zu finden. Waldmann vor dem Stadthaus: Who cares! Heinrich Bullinger (wer?) beim Grossmünster: Alt und grau. Die Helden von früher sind schon lange müde, ihre Message ist morsch. Jetzt muss der Kulturfriedhof Züprich einmal entrümpelt werden. Ein Original-Pamphlet von Daniel Ambühl. Grossansicht der Originalseiten durch BildklickZürich und seine Kulturschätze wurden glücklicherweise von den Zerstörungen und Greueln des Zweiten Weltkrieges verschont. Das Grossmünster steht noch, auch das Kunsthaus und der Hauptbahnhof. Wir hätten also die Chance, selbst auszuwählen, was wir vom Überlieferten behalten und was wir erneuern wollen. Stattdessen erneuern wir nichts und behalten alles. Das ist Ordnung - oder auf gut Zürichdeutsch: «Es bliibt, wies isch!» Wenn schon Veränderungen, dann in Richtung Gleichmacherei. Zeitungskästen müssen einheitlich grau sein. Buntheit und Vielfalt wird als Unordnung diffamiert. Bunt und vielfältig - und darum kulturell aufregend - sind nur Plakatflächen. Sie allein liefern heute den farbigen Stoff für gegenwartsbezogene Diskussionen. Die Zürcher Künstler sind Werbeagenturen. Ihre Denkmäler heissen Benetton, Almdudler und Levis. Das hat System: "Nein" zur Gegenwart heisst bei uns "Respekt vor den Werken der Vorväter". "Unterdrückung des Neuen" heisst "Pflege des Alten". "Angst vor Kritik" heisst "Freude an der Tradition". Und genauso sieht bei uns der öffentliche Raum auch aus. Die wirklichen Kulturschöpfer - die aktiven Menschen der Stadt - werden aus diesem verbannt. Die meisten von ihnen haben sich resigniert in ihre eigenen vier Wände zurück gezogen. Und dort steht der staatlich konzessionierte Kulturersatz allzeit bereit: Vor dem TV-Altar wird die Neugier elektronisch befriedigt. Es flackert und flimmert auf dem bunten Bildschirm - und draussen herrscht Grabesruhe. Der Stuhl des Anstosses Für die künstlerische Möblierung Zürichs ist die Stadtregierung zuständig. Für den guten Geschmack gibt es eine Kunstkommission. Sie beurteilt und empfiehlt die Plazierung der (meist geschenkten) Kunstobjekte auf städtischem Grund. Und doch wird selten neu möbliert. Denn bis ein Kunstobjekt endlich aufgestellt wird, haben bereits zuviele Experten darüber gestritten. Und manch einer hat schon die Nerven verloren. So geschehen mit Kunstmäzen und Sexkinobesitzer Edy Stöckli. Vor einigen Jahren wollte er der Stadt eine Skulptur von Max Ramp schenken. Einen überdimensionierten Stuhl aus Eisenbahnschwellen, ein Mahnmal gegen die Bürokratie. Die Stadt aber wollte das Geschenk nur dann annehmen, wenn in absehbarer Zeit dafür ein geeigneter Platz gefunden wurde. Die Ämter suchten und suchten, die Blätter wurden bunt, Schnee fiel, der Frühling nahte... So landeten Stöckli und Ramp in einer finsteren Nacht einen provokativen Überraschungs-Coup und deponierten die Skulptur kurzerhand am Limmatquai, direkt gegenüber des Gran-Cafes. Ein Jahr lang stand der trojanische Stuhl illegal und völlig unbemerkt an Zürichs bester Lage. Ein Riesenfrust! Keine einzige Reklamation - und das nach einem solchen Husarenstreich. Dafür die neue Erkenntnis: Akzeptanz ist eine Frage des Mutes. Kultur und Staat: Fatal attraction Akzeptanz: Das Zauberwort der Demokratie. Gemeint ist damit in der Politik jener kritische Wert, bei dem der Beifall der Wähler in Buhrufe umkippt. Zürcher Kulturpolitiker können sich beides nicht leisten. Applaudiert die schweigende Mehrheit, so werden sie von Hardlinern der Kulturszene als Populisten verhöhnt. Schreit der Souverän Buh, ists nicht gut für die Wahlen. Gefragt ist also einmal mehr der Mittelweg. Gesucht wird der Akzeptanz-Punkt, wo weder geklatscht noch gebuht wird, wo bleierne Langeweile die Emotionen des Publikums lahmlegt, wo Kulturschaffen entschärft wird zum KulturSchlafen. Das Entschärfen des Sprengstoffes Kultur war schon immer das traurige Los der staatlichen Kulturförderer. Der letzte grössere oberirdische Kultur-Testversuch in Zürich war die Skulptur «Cube» des US-Minimal-Artisten Sol Lewitt. Ein schlichter, weisser Backsteinwürfel von fünf Metern Seitenlänge. Das Ding besass nach dem Wirbel um den Fleischkäse-Bau beim Opernhaus einige Sprengkraft. Als Testgelände wurde das Zürihorn gewählt. Um den Schock abzufedern, bastelte man zunächst eine Cube-Attrappe. Ein harmloses Baugespann zwischen den lauschigen Bäumen am See. Und das Unglaubliche geschah: Die Bombe ging hoch, ohne dass sie dort war. Heftige allergische Reaktionen bei der Bevölkerung wurden registriert. Geschrei. Leserbriefe. Buuuhhh. Das Ziel der bleiernen Langeweile wurde krass verfehlt. Ernüchterndes Fazit: Der Staat ist gar nicht fähig, ein solches Kunstwerk aufzustellen. Denn er kann die kulturelle Leistung eines Individuums nicht für die ganze Gemeinschaft verbindlich erklären. An diesem Widerspruch krankt die unfruchtbare Zweierkiste von Kultur und Politik. Scheiden tut gut Die Lösung des Problems ist naheliegend. Erstens: Scheidung der zerrütteten Ehe zwischen Kultur und Politik. Und zweitens: Weg mit dem Ewigkeitsanspruch der Kultur. Warum darf der dümmliche Rambo-Arbeiter vor dem Restaurant Cooperativo bis in alle Ewigkeit bleiben? Worauf wartet der Aktivdienst-Soldat vor der Turnhalle an der Rämistrasse, der dort seinen zweifelhaften Geruch von Kadavergehorsam und vaterländischer Disziplin verströmt? War is over! Wer schickt endlich all die DIN-Norm-fabrizierten, nackten Seepark-Bronzefrauen in die Umkleidekabine? Oder sind das Verbotstafeln gegen das Nacktbaden? Im Friedhof Sihlfeld gilt für Grabsteine normalerweise eine Aufenthalts-Frist von 20 Jahren. Dann wird sogar dort umgegraben und für neue Tote Platz gemacht. Der pseudoreligiöse Schwachsinn von der Unantastbarkeit der Kunst ist eine Erfindung der Politik. Mit dem Denkmalschutz will diese auch nicht die Kultur verewigen, sondern nur sich selbst. Kultur ist von ihrer Art her ein Prozess, eine Bewegung. Die Idee von der Bewahrung des Alten widerspricht ihrem Wesen diametral. Kultur will und muss Neues schaffen. Wir können auch anders Doch was tun, wenn die ganze Stadt mit dem Ramsch überholter Ideologien vollgestopft ist? Ja, weiss Gott, ich hätte auch keinen Platz für ein neues Bild im Wohnzimmer, wenn ich meinen David-Cassidy-Starschnitt und die Sweet-Stickers aus der Pubertät nicht abgehängt hätte. Also: Weg mit Zwingli. Nicht zerstören. Aber mindestens zügeln. Das ist beste Tradition in der Kulturgeschichte. Die Engländer haben auch halb Ägypten ins British Museum geschleppt. Wie wärs, zum Beispiel, mit einem Statuenaustausch Schweiz-Russland? Wir nehmen für einen Monat die Standfigur von Ex-KGB-Chef Felix Tscherschinski und schicken dafür Zwingli nach Moskau. Die Bronze-Nymphen vom Zürihorn könnte Bernhard Luginbühl für den neuen Brunnen vor dem Hauptbahnhof recyceln. Das Alfred-Escher-Denkmal ist sowieso überrissen. Schon 1952 hat ETH-Professor Peter Meyer in einem Essay über Denkmäler die Unverhältnismässigkeit des Pompbrunnens bemängelt. Und zum Bullinger-Denkmal schrieb er: «Man kann sich fragen, ob für den ernsten, asketisch-strengen und bilderfeindliche Mann eine Inschrifttafel nicht richtiger gewesen wäre.» Die Bronze-Flamme auf der Forch nannte Meyer eine «kunstgewerbliche Veranstaltung ins Leere». Der Bericht wurde übrigens in einem Buch über die Schweizer Kulturpolitik veröffentlicht. Herausgeberin war die Pro Helvetia. Erstaunlich: Damals erlaubte sich sogar die staatliche Kulturstiftung kritische Gedanken zum Verhältnis zwischen Staat und Kultur. Dafür hätte sie eigentlich ein Denkmal verdient. Aber eben: Wohin damit? Also: Den Freiraum müssen wir uns schon selbst schaffen. Wir wollen doch nicht warten, bis eine Bombe fällt oder die Hunnen die Stadt verwüsten. Oder? 1 Kunstobjekte dürfen nur zeitlich beschränkt aufgestellt werden. Wer etwas aufstellt, muss etwas entfernen. Wir selbst müssen ja auch mal abtreten. Und das ist gut so. In einer Friedensgesellschaft müssen Bewegung und Veränderung etwas Lustvolles sein. Verzicht auf Althergebrachtes ist Vertrauen ins Neue. 2 Abgeräumte Plastiken werden den Stiftungen zurückgegeben, versteigert oder in Museumsbestände eingegliedert. Noch besser wäre eine kultische Vergrabung. Unsere Keltenvorfahren haben auch ihren Ahnen die besten Stücke mit ins Grab gegeben. Sonst hätten wir sie heute gar nicht. Die Geschichte lehrt uns also, dass Kulturschätze im Boden am besten aufbewahrt sind. 3 Standplätze von Skulpturen werden an Private versteigert. Diese erhalten das Recht, dort für die Dauer einer bestimmten Zeit eine eigene Skulptur aufzustellen. Vielleicht thront dann eben mal eine grosse OMOWaschtrommel auf dem Podest von Ulrich Zwingli. Oder die lila Milka-Kuh auf dem Waldmannsockel. Oh Freude! Dann wären wir kulturell wenigstens schon in den 60er Jahren angelangt - bei Warhols Campbell Tomatensuppendosen und Cociflaschen.
4 Trennung von Staat und Kultur. Eine verordnete Staatskultur wird der Vielfarbigkeit unserer Stadtbewohnerlnnen nicht gerecht. Demokratie ist eben nicht, wenn man Rot, Gelb, Blau und Grün solange mischt und rührt, bis es Grau wird. Eine Appenzellerin, die einen Inder heiratet, bekommt schliesslich auch kein graues Kind.
5 Schluss mit Kultursubventionen. Ein Künstler ist kein Heiliger, der Almosen braucht. Und er wird auch nicht erleuchtet, wenn seine Gage nach Staatssäckel riecht. Die Pop- und Rockmusik ist gerade dank konsequenter Nichtsubventionierung zur bestimmenden Gegenwartskultur geworden. Was hat die ehemals alternative Szene davon, wenn sie jetzt am Gängelband der Steuerbatzeli durch ihr angepasstes Leben gefuttert wird? Sie führt ein Hundeleben, dressiert, immer wieder schön brav das hohle Händchen machend. 6 Recht auf kulturelle Freiheit. Jeder Bürger soll das Recht erhalten, sein Besitztum nach eigenem Gutdünken zu gestalten. Nicht nur Kleidung und Frisur. Auch das Auto, die Hausfassade, Fensterläden etcetera. Wirkliche kreative Freiräume sind dort, wo der Staat sich eine Unterstützung nicht leisten kann. Zum Beispiel in der Wohlgroth-Fabrik, wo Menschen eine dem Tode geweihte Liegenschaft aus der Sinnlosigkeit der Leerheit befreiten und mit Lebenskunst erfüllen. Und in all den anderen Häuserleichen, die wiederbelebt wurden von mutigen Menschen. Genau wie ein Edelweiss, das als Pionierpflanze den nackten Fels erobert. |
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