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Eine Reise durch die Ackerstraße (7)
"Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu
errichten"
Antwort des DDR-Staatschefs Walter Ulbricht bei einer
Internationalen Pressekonferenz am 15. Juni 1961:
Frau Doherr (Frankfurter Rundschau): "Bedeutet
die Bildung einer Freien Stadt Ihrer Meinung nach, dass die Staatsgrenze
am Brandenburger Tor errichtet wird? Und sind Sie entschlossen, dieser
Tatsache mit allen Konsequenzen Rechnung zu tragen?"
Walter Ulbricht: "Ich verstehe Ihre Frage so,
dass es in Westdeutschland Menschen gibt, die wünschen, dass wir die
Bauarbeiter
der Hauptstadt der DDR dazu mobilisieren, eine Mauer
aufzurichten. Mir ist nicht bekannt, dass eine solche Absicht besteht.
Die
Bauarbeiter unserer Hauptstadt beschäftigen sich hauptsächlich mit
Wohnungsbau, und ihre Arbeitskraft wird dafür voll
eingesetzt. Niemand
hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!"
Die Mauer
Die Geschichte der Ackerstraße ist auch eng verbunden mit der Teilung
Berlins. Genau in der Hälfte der Ackerstraße verläuft die Bernauer Straße
quer und die war gleichzeitig die Grenze zwischen zwei
Gesellschafts-Systemen: Der Kapitalismus und der Sozialismus knallten
mitten auf der Ackerstraße zusammen.Am 13. August 1961 begann ein neues Kapitel der Geschichte und so auch in
der Ackerstraße. Bisher war sie eigentlich auch vorher schon keine
einheitliche Straße, aber an diesem Tag wurde vieles noch ganz anders. Es
war Samstag und am nächsten
Tag brauchten die Leute nicht zur Arbeit zu
gehen. Kurz nach ein Uhr nachts verweigerten Volkspolizisten an den Grenz-Übergängen
sowohl Fußgängern als auch Autofahrern den Weg in den Westteil Berlins.
Zur selben Zeit verbreitete die ostberliner Nachrichten-Agentur ADN eine
Erklärung der Regierungen der Ostblock-Staaten, in der "eine verlässliche
Bewachung und wirksame Kontrolle" der Grenze um Westberlin herum
empfohlen wurde. Ab zwei Uhr kamen die DDR-Machthaber dieser
"Empfehlung" nach.
In
der Bernauer Ecke Ackerstraße gab es plötzlich schweres Motorengeräusch;
von der Invalidenstraße kommend fuhren Mannschafts-LKWs der Grenztruppen
und der Volkspolizei vor. Sie sperrten in der Ackerstraße und allen
Parallelstraßen
kurz vor der Bernauer Straße die Durchgänge Richtung
Wedding ab. Hier in der Bernauer Straße verläuft die Grenze entlang der
Häuserfront auf der ostberliner Seite. Und so brauchten die Bewohner
dieser Häuser nur
vorn aus dem Haus treten und schon waren sie im Wedding
und damit im Westen. Doch gerade diese Häuser sind natürlich das erste
Ziel der Grenzpolizisten. Westlich der Ackerstraße gab es ja keine Häuser
auf der ostberliner Seite, denn
dort reichte der Sophien-Friedhof bis an
die Bernauer Straße. Doch in Richtung Brunnenstraße war die Bernauer
bewohnt.Doch es läuft hier nicht alles so reibungslos wie geplant. Denn da die
DDR-Staatsführung diese Aktion geheim halten musste, hat sie auch nicht
sofort an sämtlichen Stellen in Berlin genügend Baumaterial zur Verfügung
stellen können. So wurden erstmal
Stacheldraht-Rollen ausgelegt, die aber
nicht so sicher waren wie eine hohe Mauer. Immer wieder gab es Versuche
durchzubrechen, aber die bewaffneten Einheiten standen davor: Offiziere
und junge, verstörte Wehrpflichtige der NVA, Volkspolizisten und
Mitglieder der Betriebs-Kampfgruppen. Plötzlich drehte sich einer der
Bewacher um, ein junger Soldat, rannte auf den Stacheldraht zu und sprang
über die Rollen in den Westen herüber. Dort stand in der Bernauer Straße
ein Journalist, der dieses berühmte Foto machte, genau in dem Moment, als
der Soldat sprang.
In
den ersten zwei Tagen nach dem Mauerbau gab es eine merkwürdige
Situation: Da die Häuser an der Bernauer Straße in der Regel
von hinten
nicht zugängig waren, mussten (bzw. durften) die Mieter immer noch nach
vorne heraus. So setzten sich natürlich viele noch in letzter Minute in
den Westen ab, die nicht in Ostberlin wohnen bleiben wollten. In den
ersten Tagen wurde damit begonnen, diese Häuser nach hinten aufzubrechen,
bei manchen war dies auch schon vorher geschehen. Doch auch dann wurden
die Bewohner noch nicht herausgeholt,
Stattdessen sind nur die Eingangstüren und Paterrefenster zugemauert
worden, die zur Bernauer Straße hinaus gingen. In den folgenden sechs
Wochen haben sich dann noch viele der Hausbewohner aus der Bernauer Straße
Richtung Westen abgeseilt. Die ostberliner
Regierung hat versucht, für
die dort lebenden Menschen eine neue Wohnung zu finden und dann die
betreffenden Familien abgeholt und deren Fenster zugemauert.
Dann kam der 24. September 1961. Morgens um sechs fielen hunderte Angehörige
der Volkspolizei und sogenannter Betriebs-Kampfgruppen in die Häuser ein,
die große Hausräumaktion begann. 2.000 Menschen sollten an diesem Tag
auf einen Schlag
umgesiedelt werden.In den folgenden Stunden spielten sich sehr tragische Szenen ab, weil
viele nicht aus ihren Häusern heraus wollten. Und viele wollten auch
nicht in der DDR eingemauert werden. Manche Leute versuchten noch, aus
ihren Fenster in den Westen zu springen, die Bilder
gingen später um die
Welt: Die Fassade eines Wohnhauses in der Bernauer Straße 34, im ersten
Stock eine alte Frau, die auf dem Sims stand und sich ängstlich am
Fenster festhält. Unten standen Feuerwehrleute mit Sprungtüchern, oben
zogen Vopos an ihr, um
sie wieder in die Wohnung zurück zu holen. Doch
dann fiel sie - ins Sprungtuch. Einige Stunden später waren die Häuser
geräumt und 50 Türen, 37 Läden sowie 1.253 Fenster zugemauert -
praktisch eine zwanzig Meter hohe Mauer!
Am 19. Juni 1962 begannen Bauarbeiter mit dem Bau einer zweiten Sperrmauer
hinter der bisherigen Mauer. Dadurch entstand ein etwa 100 Meter breiter
Streifen, der aufgrund seiner Bestimmung bald "Todesstreifen"
genannt wurde.1980 wurde die alte Mauer dann durch neue, vorgefertigte Betonelemente
ersetzt, die im Boden verankert wurden, vier Meter
hoch waren und ganz
oben eine Röhrenabdeckung hatten, damit sich niemand daran festhalten
konnte.Bis zum 13. August 1961 hatten sich die südliche Ackerstraße und der nördliche
Teil (hinter der Bernauer Straße) getrennt entwickelt. Zwar gehörten sie
schon zusammen, doch durch die beiden Friedhöfe in der Mitte der Straße
gab es sozusagen zwei Ackerstraßen-Kieze:
Den um die Invalidenstraße und
den um den zwischen der Bernauer Straße und dem Gartenplatz. Doch seit
dem Tag, an dem die Berliner Mauer die Stadt für viele Jahre teilte,
sollte es fast vierzig Jahre lang auch eine völlig getrennte Entwicklung
beider Teile der Ackerstraße
geben.Auf der ostberliner Seite der Bernauer Straße standen zwischen der
Strelitzer und der Ackerstraße hauptsächlich Wohnhäuser. In den zugemauerten Fensterhöhlen wurden Schlitze freigelassen, durch die die
westberliner Seite beobachtet werden konnte. Mitten in dieser
Häuserzeile
war eine große Lücke. Dort stand, groß und mächtig, die evangelische
Versöhnungsklrche. Ein Kirchenschiff wie es das in Berlin oft gibt,
drumherum ein kleiner Weg zum Spazieren, ein paar Sträucher. Und diese
Kirche stand mitten auf dem Grenzstreifen
und natürlich wurde auch sie
abgesperrt. Direkt vor ihrem Eingang wurde aus Betonstücken eine Mauer
hochgezogen. Damit war für die Gläubigen aus der Versöhnungs-Gemeinde
der Weg in ihre Kirche für alle Zeit versperrt. Ein Großteil der
Gemeinde-Mitglieder
kam aus dem Wedding und auf dem Weg in ihre Kirche war
bisher nur eine Straße im Weg. Doch nun ist der Weg unüberwindlich geworden. 1985 wurde die Kirche gesprengt. Siehe dazu den Text "Die
Versöhnungskirche"
Der
Elisabeth-Friedhof, der bis an die Rückseite der Kirche reichte, vor
allem
aber der Sophien-Friedhof, der sich ja bis zur Bemauer Straße
hinzog, wurden im
Zuge des Grenzausbaus teilweise abgeräumt. Bis etwa
hundert Meter vor der
Grenze wurden alle Gräber ausgehoben, die Knochen
der Toten kamen auf einen
Haufen. Die Knochen wurden abgefahren, Särge
und Urnen an andere Stellen
umgebettet. Danach wurden die Flächen
planiert, an der Ackerstraße wurde ein
Wachturm aufgebaut und in die
Giebelseite der Hausnummer 40 im Dachgeschoss
ein Fenster eingebaut,
ebenfalls um die Grenze besser beobachten zu können.
Hinter die Kirche
kam eine Hunde-Auslaufanlage hin, weil das Gelände dort etwas
hügelig
und unübersichtlich war. Außerdem befand sich direkt vor dem
Grenzstreifen
noch der Friedhof und der war natürlich eine Gefahr für
die Bewacher der Grenze.
Auf der anderen Seite der Mauer entstand in der
Zwischenzeit ebenfalls ein Aussichtsturm.
Ursprünglich zur besseren Überwachung
der Grenze von der Westseite aus gedacht,
wurde er immer mehr von
Touristen statt von den Militärs genutzt.
Die Ackerstraße ist auf der ostberliner Seite mehrere hundert Meter vor
der Grenze fast nur von Friedhöfen umgeben, so war natürlich die
Bewachung leichter. Da der Sophien-Kirchhof seinen Eingang bereits gegenüber
der Anklamer Straße hatte und der Elisabeth-Friedhof
schon etwa 200 Meter
vor der Grenze zugänglich war, wurde direkt hinter dem Friedhofstor
bereits die erste Grenzabsperrung installiert. Damit lagen die drei
letzten bewohnten Häuser Ackerstraße 38 bis 40 innerhalb des
Grenzgebiets. Wer dort hinein wollte, musste eine Berechtigung und seine
Personalien vorlegen. Besuche mußten mehrere Wochen vorher angekündigt
werden und es wurde genaustens überwacht, wer wann kam und ging. Extra für
die Bewohner der drei Häuser wurde sogar eine Telefonzelle auf der Straße
aufgestellt. Was als Erleichterung ftir die schwere Lebenssituation
hingestellt wurde, war natürlich auch eine doppelte Absicherung von
Staats wegen.
Erstens mussten die Bewohner nicht noch öfter durch die
Absperrungen, außerdem konnte man sicher sein, dass die Gespräche aus dieser Telefonzelle allesamt mitgehört wurden - es hätte sich ja ein
"Republikflüchtling" vorher telefonisch anmelden können...
Und tatsächlich gab es um die Ackerstraße herum mehrere Fluchtversuche,
die teilweise sogar sehr spektakulär verliefen. Obwohl man es sich denken
konnte, dass die Friedhöfe an der Grenze besonders bewacht wurden,
versuchten es immer wieder einige, über den Kirchhof bis an die
Grenzanlagen und dann "irgendwie rüber" zu kommen. Dass dabei
mehrere Flüchtlinge erwischt wurden, war fast unvermeidlich. Besonders
viel Aufsehen jedoch erregte eine Aktion einiger Studenten: Sie mieteten
einen Raum auf der Weddinger Seite der Bernauer Straße. Von dort gruben
sie einen Tunnel unter der Straße und dem Grenzstreifen hindurch. Mitten
im Block
zwischen der Strelitzer und der Ackerstraße erreichte der Tunnel
sein Ziel. Siehe dazu das Kapitel "Der
Tunnel".Viele aber schafften die Flucht nicht. Allein in der Bernauer Straße
kamen mindestens sechs Menschen beim Versuch um, die DDR zu verlassen:
22. August 1961: Ida Siekmann (59 Jahre) sprang aus dem dritten Stock der
Bernauer Str. 48 in den Tod;
15.
September 1961: Rolf Urban (46) sprang am 19. August '61 bei seiner Flucht
aus der 1. Etage der Ackerstraße Ecke Bernauer Str. 1 und zog sich dabei
schwere Verletzungen zu, an denen er vier Wochen später starb;
29. September 1961: Olga Segler (80) starb vier Tage nach ihrem Sprung aus
dem 2. Stock der Bernauer Str. 34;
4. Oktober 1961: Bernd Lünser (22) stürzte bei einem Fluchtversuch nach
Beschuss durch die Grenzpolizei vom Dach des Hauses Bernauer Str. 44 und
war sofort tot;
4. Oktober 1961: Sein Freund (Name und Alter unbekannt) wurde nach seiner
Festnahme auf dem Dach des selben Hauses zu Tode geprügelt; 5. September 1962: Ein unbekannter Mann (40-50) wurde bei einem
Fluchtversuch auf dem Sophien-Friedhof an der Bernauer Straße
durch zwei
Kopfschüsse getötet. Allerdings berichteten Anwohner, dass sie immer wieder mal Schüsse aus
Richtung Todesstreifen gehört haben, es ist also anzunehmen,
dass es dort
noch mehr Opfer gab. Immer wieder kam es vor allem im ersten Jahr nach dem Mauerbau zu
Auseinandersetzungen zwischen Vopos und der Westpolizei
oder anderen
Menschen auf der Westseite. Im Sommer 1962 sorgte die Aktion eines Inders
an der Bernauer Straße weltweit für Aufsehen. Er hatte angekündigt, öffentlich
die Mauer abzureißen, was aber vom westberliner Senat unterbunden worden
war. Die geplante Aktion
weitete sich zu einer Demonstration von hunderten
Jugendlichen aus.
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