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Brief vom 27.6.1998

Lieber Urs

Seit unserem Zusammensein in Oberiberg habe ich mir immer wieder Gedanken gemacht zum Projekt "Werte verbinden". Deshalb versuche ich in diesem Brief Dir eine Skizze der Spaziergänge in den Windungen meines Geistes vorzulegen.

Sehr aufschlussreich waren für mich Eure Präsentationstafeln. Auf den ersten Blick scheinen sie alles zu enthalten: Private Werte, geschäftliche Werte, kulturelle Werte. Man ist versucht zu sagen: Beliebige Werte. Alles hat seinen Wert, und alles ist mit allem verbunden, weil alles einen Wert hat. Das Werthafte der Dinge und Menschen ist verbindlich. Doch damit können wir nichts anfangen, weil sich die Werthaftigkeit alles Lebendigen für den Menschen nicht in dieser Form der Gleichgültigkeit aller Werte darstellt. In Zeit und Raum sind die Werte des Menschen in einer Hierarchie geordnet. Und die grosse Frage in jeder Zeit lautet: In welcher Ordnung und Hierarchie stehen die Werte des Lebens? Nach welchen Kriterien und Gesetzen wird das Leben bewertet.?

Im Zeitalter der Pax Americana, des "Anything goes" und der "Spontaneität" haben die Werte einen gummigen Charakter angenommen. Sie sind flexibel geworden, subjektiv und pragmatisch. Oder sagen wir besser: Nicht die Werte sind gummig geworden, aber die Tabellen der Hierarchien, in denen die Werte ihren Platz einnehmen. Von Situation zu Situation ändern die Hierarchien und damit die Ranglisten der Werte.

Alle grossen Werke der Menschheit basieren auf der Festsetzung von Hierarchien von Werten: Verfassungen von Staaten, Grundsätze von Firmen, Gesetzeswerke, religiöse Gebäude, Philosophien usw. Diese Regelwerke und Ordnungen sind Fundamente unserer Gesellschaft, unseres Denkens, unserer Identität. Dass diese grossen, ordnenden Versuche immer wieder von Neuem unternommen werden ist nicht ein Beweis der Fehlerhaftigkeit der alten Ordnungen, sondern Ausdruck der Erfordernis der Zeit: Sie ist fliessend und beweglich erodiert und unterspült die alten Felsen und ruft deshalb den Menschen immer wieder von Neuem an. Sich auf feste Grundwerte zu verpflichten. Dieses Tun des Menschen nennen wir Gründung. Es wird ein fester Grund bereitet, um darauf etwas aufzubauen.

Heute können wir sagen: Dies ist gerade das letzte, was wir wollen: Uns auf feste, "ewige" Grundsätze zu verpflichten. Wir nennen die Sturheit des Festhaltens an überkommenen Grundsätzen deshalb Fundamentalismus. Nur das Fundament gilt; es ist dann gleichsam über das Haus gestülpt. Dies gilt als unmodern, als Zeichen einer veralteten, unflexiblen, unzeitgemässen Haltung. Wir wollen selber fliessend und beweglich sein, wie die Zeit, und uns eher auf diese Flexibilität verpflichten als auf feste Grundsätze, die im Widerstreit zur Bewegung der Welt in Zeit und Raum stehen. Wie aber können Werte verbindlich sein, wenn ihre Gültigkeit von Fall zu Fall ändert?

Aus der Sicht eines Bankhauses ist diese Grundfrage einfach zu verstehen: Das Bankhaus gründet sich auf dem Vertrauen. Kredit kommt von credere, lateinisches Verb für "glauben" und "vertrauen". Das Credo der Bank ist das Geschäft auf der Grundlage des Vertrauens. Ist aber nicht das Vertrauen und der Glaube das Unsicherste in unserer Welt? Die Vertrauenswürdigkeit eines Kreditnehmers kann nie mit absoluter Sicherheit erweisen werden. Im Einzelfall wird die Vertrauenswürdigkeit bewertet aufgrund der Geschichte des Zusammenlebens mit einem Kunden. Im allgemeinen Fall mithilfe von Wahrscheinlichkeiten, die das Risiko des Vertrauens einzuschliessen und in Rechnung zu stellen scheinen. Das Wort "Wahrscheinlichkeit" beinhaltet aber schon, dass das, was sie aussagt nur wahr scheint. Man muss also der Wahrscheinlichkeit letztlich auch vertrauen, weil sie nicht beweisen kann, dass sie wahr ist.

Das Vertrauen ist der menschliche Urwert. Das Vertrauen steht im Angesicht des Unwissbaren. Vertrauen beginnt da, wo alles Berechnen und Wissenkönnen an seine Grenzen stösst. Das Vertrauen ist ein Entscheid, den Irrtum auf sich zu nehmen, das Scheitern in Kauf zu nehmen, und deshalb ist im Entscheid des Vertrauens dem grössten Wunsch des Menschen Ausdruck gegeben: Dass es gelingen möge; aber auch der grössten Angst:

Dass es nicht gelingen könnte. Das Vertrauen ist der menschliche Urwert, weil die Maschine, der Computer und die Wahrscheinlichkeit zwar Empfehlungen unterbreiten können. Die Maschine kann sogar - wenn der Mensch sie dazu programmiert - auf die Frage antworten: Soll man vertrauen oder nicht? Die Maschine kann sogar den Entscheid fällen. Die Konsequenzen aus dem Entscheid des Vertrauens - Freude über das Gelingen, wie auch Trauer über das Scheitern - trägt aber immer der Mensch. Alle menschlichen Grundwerte - man nannte sie früher Tugenden - leiten sich aus dem Entscheid im Vertrauen her: Mut, Geduld, Aufrichtigkeit, Barmherzigkeit, Standhaftigkeit, Klugheit, Treue usf.

Das Anlagevermögen jedes Menschen ist sein Vertrauen. So ist es auch bei der Bank: Ihr Anlagevermögen ist das Vertrauen in ihre Kundschaft. Dieses Vertrauen drückt sich aus im Bilde des Kredites. Mit diesem Credo wird in das Leben des Menschen investiert. In der Bank hat das Vertrauen des Menschen materiellen Ausdruck gefunden.

Um nun auf die Ausgangslage zurückzukommen, den Titel "Werte verbinden", könnten wir feststellen: Grundsätzlicher und verbindlicher müsste er heissen: "Vertrauen verbindet", "Kredit verbindet", "Credo verbindet". Wenn wir den Titel "Werte verbinden" bedenken, drückt sich darin eine Unbestimmtheit der Werte aus. Irgendwelche Werte verbinden. Es heisst nicht : Der Wert verbindet. Auch nicht: Wert verbindet. Es sind unbestimte Werte, die verbinden. Damit ist ausgedrückt, dass der subjektiven Wertigkeit Geltung verschafft werden soll. Die Aussage lautet: Dass man überhaupt Werte hat, verbindet die Menschen. Im Vordergrund steht also nicht die Erörterung der Frage: Welche Werte? Und es steht auch nicht die Frage an: In welcher Hierarchie und Ordnung stehen diese Werte? "Werte verbinden" besagt : Die Werte sind subjektiv ganz unterschiedlich geordnet. Es spielt keine Rolle, wie sie im Einzelnen bewertet sind, es ist kein Hindernis zwischen Menschen, wenn sie ihre Werte subjektiv unterschiedlich positioniert haben. Wesentlich verbindend zwischen Menschen ist die Anwesenheit von Werten in einer subjektiven Hitliste, ohne Blick auf ihren Rang. Ein gemeinschaftlich vereinbarter Rang der Werte soll für den einzelnen Menschen kein Zwang bedeuten. Deshalb lässt der Ausdruck "Werte verbinden" die Frage nach dem Wesen der Werte und die Frage nach ihrer Verbindlichkeit offen. So gesehen ist der Titel nicht in einem fordernden, verpflichtenden und zwingenden Unterton des "Vertrauen verbindet" abgefasst. Das Objektive, das ein Wert darstellen muss, wenn man ihn als solchen bezeichnet, ist der subjektiven Erörterung anheim gestellt.

Das zweite wichtige Element, das ihr mir präsentiert habt, war die Idee des Bogens. Er drückt die Spannung des Verbindens aus, das verbindliche Gespanntsein zwischen den Polen, die sich begegnen.

Das Leben ist so zwischen Geburt und Tod gespannt. Die Geschichte einer Firma als Bogen gespannt zwischen Gründung und Gegenwart. Aber auch in jeder Gegenwart ist die Begegnung gespannt, als Spannung zwischen Mensch und Welt und als Spannung zwischen Mensch und Mensch.

Im Zeichen des Bogens ist aber auch die Festschrift zwischen den Polen der Buchdeckel gespannt. Und die Erzählung, indem der Mensch Schritt für Schritt - aufsteigend in der Reihe der Zahlen - seine Geschichte erzählt, ist damit Abbild seines gespannten Unterwegsseins in Zeit und Raum.

Zu diesen Überlegungen haben sich mir einige Ideen gesellt, die es Wert wären, dass wir sie besprechen. Sie betreffen sowohl ein Kunstprojekt als Kulturgeschenk an die Stadt, als auch die Grundidee der Festschrift zum Anlass des Jubiläums des Bankhauses Rahn & Bodmer.

Mit herzlichen Grüssen

Daniel Ambühl

 

 

 

 

 

 

 

 

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