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Schlupfwespen | ![]() |
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26.8. Die Schlupfwespenmaden aus der Admiralraupe sind grünlich weiss,
eher länglich gebaut als die Fliegenmaden mit spitzen Kopf. Sie verpuppen
sich in einem gemeinsamen Gespinst. Die anderen Schlupfwespen, die ich an
den Raupen des kleinen Fuchses bemerkte, verpuppten sich einzeln in einem
weissen Kokon am Körper der Raupen. Diese Art hier verlässt den Körper
der Raupe und baut in einer Entfernung vom Raupenkörper, aber noch im
Schutz der vom Admiral gebauten Blätterhauses ein wolkiges Gespinst, in
welchem sich die Maden zuerst zu einem Knäuel versammeln, um die
Aussenhaut des Gespinstes zu errichten, dann aber Verpuppen sie sich darin
nicht einzeln ohne Ordnung, sondern zu einer mit seidigen Wabe vereint,
dichtgedrängt mit der Schlupföffnung nach oben. Sie zeigen darin also
ihre Verwandtschaft mit den staatenbildenden Wespen. Die geschlüpften
Wespen müssen sich durch das wolkige lockere gespinst hindruchbeissen, um
ins freie zu gelangen. Das zarte, schlanke Insekt ist durchgehend Schwarz,
besitzt eine Körperlänge von nur 2,5 Millimetern jedoch lange, leicht
gebogene und sehr bewegliche Tastfühler von 2 Millimetern Länge. Die
Gesamtlänge beträgt also 4,5 Millimeter. Einen Legestachel konnte ich an
ihnen ncht beobachten. Die Flügel sind durchsichtig, besitzen jedoch als
Zeichnung ein fast schwarzes Dreieck im kopfseitigen, äusseren Flügelteil.
Wie eine Mumie liegt dann noch immer die getrocknete Raupenleiche neben
dem Gespinst. Die Schlupfwespen ernähren sich in der lebenden Raupe von
deren Fettpolster. Die Raupe stirbt also nicht bei der Impfung mit den
Schlupfwespeneiern. Sie entwickelt sich fast normal weiter, mit der
Ausnahme, dass sie in der Regel kleiner bleibt als ihre gleichaltrigen,
nicht infiszierten Artgenossen. Durch den Befall mit der Wespebrut kann
sich ihre Verpuppung sogar einige Tage über den „Termin“ hinaus verzögern.
Bei den Raupen den kleinen Fuchses, die allerdings von einer anderen
Schlupfwespenart befallen waren, bemerkte ich, dass die befallenen Raupen
noch Tage nachdem die Generationskollegen sich schon verpuppt hatten, noch
weiterfrassen, oder lustlos und wenig zielgerichtet umherkrochen. Die
Schlupfwespenbrut verzögert die Entwicklung der Raupe dermassen, dass sie
die Verpuppung nicht erreicht. Die beiden Raupen des kleinen Fuchses
hatten zwar noch eine Position für ihre Verpuppung an der decke des
geheges eingenommen, sie liessen sich aber nicht mehr in die Stürzstellung
fallen sondern verharrten hier wie festgeklebt. Dann erst verliessen die
Maden den Körper und verpuppten sich sogleich in ihren Kokons an der
Raupenhaut. Die Admiralsraupen hatten keine Anstalten gemacht, sich
Verpuppen zu wollen, sie wurden recht egentlich im Schutz ihres Hauses überfallen,
durch den Austritt der Raupen, aus ihrer Haut. Diese beiden Raupen wurden
also schon einige Zeit vor ihrem Verpuppungstermin gelähmt. Sonst hätten
sie bestimmt auf der Suche nach einem geeigneten Platz, ihr Haus schon
verlassen. Die Schlupfwespe ist also eine Verhinderin der Verpuppung, da die Wespen
aber winzig klein sind, befällt jeweils eine Wespe nur eine Raupe. Sie
legt in diese Raupe immer mehrere Eier ab im betreffenden Fall ca 30 -40
Stück. Es bedeutet auch, dass eine Schlupfwespe nicht eine ganze
Generation vernichten kann. Sie findet sie Raupen wahrscheinlich anhand
ihres Geruchs, auch in der Nacht. Ich habe beobachtet, wie zwei
Schlupfwespen durch die Verpuppung von Tagpfauenaugen angezogen wurden,
wohl, weil die noch feuchte, schleimige Haut der Puppe den typischen
Raupengeruch besass, den die Wespen orten. Die betreffenden Puppen wurden
aber nicht infisziert von den Wespen. Der Moment des Austretens dieser kleinen, gesichtlosen, anonymen weissen
Madenbrut aus dem Körper der in Agonie liegenden Raupe ist mit einem
tiefen Gefühl der Angst und des Ekels verbunden. Gleich dem Ausschwärmen
von Kriegern aus einem lebendigen trojanischen Pferd. Es sind da alle
angstvolle Gedanken beteiligt, die uns beim Gedanken an Parasiten des
lebendigen Fleisches überkommen. Ist doch die Raupe wehrlos dem Angriff
dieser flinken Wespen ausgeliefert, ja sie mag zuerst nicht mal bemerken,
was in ihr vorging. Ein der Ohnmacht der Raupe, die sich gegen diesen
Befall nicht einmal wehren kann. Auch nicht zugunsten ihrer Aretgenossen,
dass ihretwegen mit der eigenen Vernichtung wenigsten die Bedrohung für
die nächsten Generationen abgewendet werden könnte. Müsste sich eine
solche Raupe nicht aus verantwortunggefühl für die eigene Art aus dem
Dickicht der Blätter auf die äussersten Blätterenden begeben um sich da
den Feinden zu opfern und von den Vögeln gefressen zu werden? Oder hatte
sie es nicht einmal bemerkt, was da in ihrem Inneren geschah. Ein
typoisches Gruselfilm Thema. In diesen Filmen und Geschichten wimmelt es
von Zombies, lebenden Toten, die vom Gewürm zerfressen werden. Auch die
Bilder der Schlangen, die aus den Augenhöhlen von Totenschädeln kriechen
sind beliebte Sujets, um im Menschen ein tiefes Grausen zu erwecken. Eine
Grausen das über das Memento mori weit hinausgeht. Die Gedanken an den
Tod alleine wären ja noch ertragbar. Aber der Gedanke, dass eine Seele in
einem Körper steckt, der den Feind ernährt, ist etwas fürchterliches. Könnte
man doch diesen Körper loswerden, um das Gewürm in ihm zu zertreten! Am
liebesten würde man ja als Raupe, seinen eigenen Körper in tausend Stücke
schneiden, zertreten und verbrennen nur um die Seele zu retten. Die aber könnte
ohne Körper zwar hier in dieser Welt ihre Bestimmung nicht erfüllen.
Aber wenigstens wäre sie dann nicht zum gehülfen der eigenen Vernichtung
geworden, indem sie Gute Seele triumphiert hätte über den bösen Körper Uns scheint viel ehrenhafter, ein Opfer zu töten, um es zu verspeisen,
auch ehrenhafter noch erscheint uns das Fressen von Aas, da aus ihm die
Seele bereits entschwunden ist. Auch scheint uns ehrenhafter eine Version,
dass die Schlupfwespenlarve die Raupe am Leben liesse und nur vorübergehned
von ihr zehre, um sie dann wieder zu verlassen, damit sie doch noch
Schmetterling werde. Das wäre dann reines Parasitentum. Doch das Drama,
das sich hier abspielt ist ein viel brutaleres. Eine Raupe kriecht mit 40
anderen Raupen in ihrem Fettpolster umher. Die Wespenlarven lassen sie
zwar am Leben, aber nur um selbst am Leben zu bleiben. Was sie fressen ist
die Hoffnung der Raupe, einmal Puppe und Schmetterling zu werden. Die Vorräte,
die die Raupe dazu anhäuft, werden zu Vorräten ihrer Hinderin. Und dies
kann sie nicht verhindern. Nein, sie erfüllt mit dem Antrieb aus ihrer
Hoffnung letztlich auch die Hoffnungen ihrer Vernichter. Besser wärs, würde
man sagen, sie stürzte sich von einer Brücke oder einem Hochhaus. Die
Wespe ist die Verhinderin der Bestimmung der Raupe einmal Puppe und
vielleicht sogar Schmetterling zu werden. Was ist nun die Schlupfwespe. Wir kommen da auch nur weiter, wenn wir
aufhören den Verlust des Admirals zu beklagen. Und wenn wir denken, dass
das was da aus ihm kommt, immer noch auch Admiral ist. Er hat sich bloss
gewandelt. Die Admiralsraupe hat sich aufgeteilt in eine ganze Schar von
Raupen. Seine „Kinder“ kriechen als grosse Schar aus ihm und finden
sich zu einer Gemeinschaft zusammen um sich zu verpuppen. Seltsam, dass
dies ausgerechnet dem Einzelgänger passiert ist? Hat sich da seine
Sehnsucht nach Geselligkeit plötzlich so manifestiert. Weil er seine
Einsamkeit nicht mehr aushielt, hat er sich zerstückelt in Dutzende von
kleinen Einzelräupchen, die nur ausserhalb von ihm sich gesellig
begegnen. Der Einzelne ist über die Vielheit, über die Zerstückelung
und Auftrennung plötzlich in Gesellschaft. Wie brint er die aber jeh
wieder zusammen? Dann ist die Schlupfwespe ein isoliertes Teilchen der Admiralsraupe,
Spaltprodukt seiner Zerstückelung und Trennnung aus der nicht
ausgehaltenen Einsamkeit des Admirals. Zerstreuung durch
Hoffnungslosigkeit. Dieser Übergang ist eine Art von Zwischenhäutung.
Hier häutet sich der Admiral aber nicht in einen Admiral sondern in 40
kleine, isolierte Teilchen, die sich alle zu diesen kleinen Wespen
entwickeln. Die Wespe ist deshalb für alle Admirals die Bedrohung durch
die zerstückelten Admirale in der Zerstreung. Die Made ist das Fressen
dieser Bedrohung am Polster der Hoffnungen, dass der Übergang zum
Schmetterling dennoch gelinge. Der Tod der Admiralsraupe ist nur dann
tragisch, wenn seine Seele nun die geplünderte Haut verlässt, er seine Hülle
daliegen sieht und dabei denkt: „Wie schön, dass ich Kinderchen
bekommen habe.“ Das aber wird ein Admiral nur denken können. Was er
empfinden würde, wäre etwas ganz anderes.
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