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26.September
1995 16.31 Nehmen
wir an, ich sterbe. Ich schlüpfe aus meiner blassen, kalten Leichenhaut.
Erstaunt aber auch mitleidig betrachte ich den früheren Ort meines
Wohnsitzes. Ich sehe meinen Körper wie ein ärmliches, verlassenes Haus,
aus welchem ich eben gezügelt bin. Abgereist ohne nähere Adressangabe.
Es wundert mich, wie wenig ich da eigentlich zurücklasse. Ja, meine
Trauer hat wohl damit zu tun. An der Himmelspforte wird alles, was ich
glernt habe in meinem Leben - und ich denke nun wiederum, dass es nicht
eben viel war -, gelöscht und ich erhalte eine neue Aufgabe. Ich bin
jetzt ein Rasensamen und werde in Mailand gesät, auf einen sorgsam
vorbereiteten, säuberlich geharkten, mit Wasserdampf sterilisierten
Humus. Gegen schädliches Übermass von Wasser wurde der Boden mit Sand
versetzt und in tieferen Schichten eine Drainage angelegt. Ich treffe völlig
unverschuldet und gänzlich unbewusst beste Voraussetzungen an für meine
gedeihliche Entwicklung. Mein Glück kann ich keineswegs erfassen, eine
Undankbarkeit, die bei meiner Entsendung offenbar in Kauf genommen wurde.
Ich werde recht eigentlich ohne Erwartungen wieder in die Welt ent- und
mir selbst überlassen. Ohne Unterscheidung kann ich nicht erwägen, ob
man hier auf mich gewartet hat und ob meinetwegen der Grund meines Daseins
dermassen ideal an mein Leben angepasst wurde. Ich erkenne zunächst nur,
dass noch andere Samen mit mir gesät sind, dass ich also keineswegs
alleine bin und dass diese anderen Samen auch bald und gleich neben mir
keimen werden. In dieser Situation sind Überlegungen zum Fundament weder
möglich noch relevant. Das Glücksgefühl hängt nahe beim Misstrauen.
Und die Empfindung, dass ich - im Blick auf meine neue Umgebung - als
Samen nicht nur Gutes in mir trage, ist Dämpfer genug für die Gefahr der
Selbstverliebtheit. Was die Nachbarn mit mir verbindet kann nicht wirklich
Auszeichnung für mich sein. Bald werden ja deren feine Würzelchen, mit
meinen Kontakt aufnehmen, und der in regelmässigen Abständen, selbst bei
wolkenlosem Himmel einsetzende Regen, das bemerke ich bald, macht
gleichwohl keine Unterschiede zwischen mir und den anderen Keimlingen.
Geburt ist ernüchternd. Ich bin aber
Gott sei Dank - pragmatisch veranlagt, clever und anpassungsfähig.
Auch behaupte ich meinen Boden tapfer gegen eindringende Wurzelhaare aus
der Nachbarschaft. Ich erkenne, dass es keinen Sinn hat, in die Höhe zu
wachsen, weil ein Rasenmäher sowieso alles wegschneidet, wachse also
dicht am Boden in die Breite, und es gelingt mir sogar, eine akademische
Laufbahn einzuschlagen. Meine Lizentiatsarbeit schreibe ich über ein rätselhaftes
Phänomen im Leben der Rasenpflanzen. Eine periodisch wiederkehrende
Katastrophe, die sich zunächst wie ein Erdbeben ankündigt und auf deren
Climax ein gigantischer, noppenbesetzter Stempel, tausende meiner
Mitraserinnen und Mitrasern zu Tode trampelt. Im
Rahmen meiner Ausbildung habe ich gelernt und danach durch weitere
Forschungsarbeiten bewiesen - mein Talent zur genauen Buchführung war
hier sehr hilfreich -, dass diese Destaster periodisch auftreten, in
regelmässigen Abständen, dass sie sich ankündigen im Duft von Wurstständen
und im Ansteigen des Geräuschpegels. Meine feinen Wurzelhaare
registrieren die Erschütterungen des Erdbodens. Und ich durchblicke, dass
dieser benoppte Zertramper in einem bestimmten an- und abschwellenden
Rhythmus auftritt: Bumm- Bumm - Bumm - Bumm - Bumm - Bumm. Mal schneller,
mal langsamer. Meine berufliche Aufgabe ist es, herauszufinden, weshalb
dieser benoppte Zertramper aufkreuzt, was er tut und wie man ihn
beseitigen kann, um die Sicherheit der Mitraserinnen und Mitraser zu gewährleisten.
Da ich indes flach am Boden wachse und keine Augen haben, ist dies eine
einigermassen schwierige Aufgabe. Als
Pflanze ist es mir nicht gegeben, umher zu marschieren. Ich bin also
einzig auf Beobachtungen an meinem Ort angewiesen und auf Berichte meiner
Studienkolleginnen und -kollegen. Natürlich konzentriere ich mich zunächst
darauf , die Erschütterungen zu analysieren, weil diese mit meinen
Wurzelhaaren sehr deutlich zu vernehmen sind. Und es gelingt mir sogar,
mithilfe eines umfangreichen Computerprogrammes, festzustellen, ob der
genoppte Zertramper sich gerade nähert, entfernt, verlangsamt oder
beschleunigt, in welcher Entfernung er sich befindet und ob überhaupt
Gefahr seines Erscheinens bestünde. Durch Hochrechnungen kann ich,
aufgrund komplexer mathematischer Gleichungen über die örtliche Veränderung
des benoppten Zertrampers, eine Art von Stempelungsvorhersage für jeden
Ort auf der Rasenfläche konstruieren. Eine phantastische Erfindung: Wenn
der benoppte Zertramper sich zur Zeit X in A befindet und zur Zeit Y in B
konnte ich mit grosser Wahrscheinlichkeit vorhersagen, ob und, wenn ja,
wann das Objekt mit welcher Wahrscheinlichkeit an einem beliebigen Punkt
der Rasenfläche eintrifft. In der Theorie funktioniert diese Vorhersage
mit grosser Genauigkeit. Für die Praxis aber sind solche Vorhersagen
wenig nützlich, da sich alles viel zu schnell abspielt. Im
Wissenschaftsrat, dem ich unterdessen als Professor für
Zertrampermechanik angehöre, sind ethische Grundsätze der Veröffentlichung
von Forschungsergebnissen klar festgelegt worden: Im Grundsatzpapier
heisst es: „Eine Verunsicherung der Bevölkerung ist grundsätzlich zu
vermeiden, oder mit einer Beruhigung zu kompensieren, in deren Genuss
mindestens 95 % der Verunsicherten kommen. Als Beruhigung können gelten:
Bekanntgabe schützender Verhaltensregeln, Aufrufe zu Solidarität mit
Betroffenen, Sammlungen von Unterschriften und Spenden, Anerbietung
wissenschaftlicher Hilfestellungen, Gründung von Betroffenenvertretungen,
Einräumung von Sendezeit für Betroffene und ihre Themen in den Medien,
und damit verbunden Sicherstellung des terrestrischen Wurzelempfangs für
alle Medien. Eigentlich kann eine Information nur durch weitere
Information beruhigt werden. Aus diesem Grund ist die flächendeckende
Vernetzung der Rasenpflanzen in Medienverbünden und Online-Diensten
vordringlichstes Gebot für eine erspriessliche Forschungsarbeit und die
von ihr angestrebte angstfreie Rasengesellschaft.“ Eines
Tages würde mein Computer jedoch in einer Katastrophenphase plötzlich
irritierende Fehlermeldungen ausspucken. Ein bisher nicht geahnter
Sonderfall wäre eingetreten: Der genoppter Zertramper war meinen
Aufzeichnungen zufolge daran sich zu entfernen, gleichzeitig aber näherte
er sich auch. Klar und deutlich registrierten meine Messonden die Erschütterungen
des Zertrampers in einem widersprüchlich gebrochenen Rhythmus. Die
Technik, das wussten ich, war über jeden Zweifel erhaben: Der Zertramper
wechselte praktisch gleichzeitig zwischen zwei Orten hin und her, von
denen einer sich entfernte und der andere sich näherte. Ein Stillstand
des Objektes oder der Sonderfall der Umrundung der Sonde waren völlig
ausgeschlossen. Wie konnte aber die gleichzeitige Entferung und Annäherung
eines Objektes erklärt werden? Meine Arbeit würde sich nun stark
komplizieren, und es ist fraglich, ob ich selbst je eine Lösung für
diesen hartnäckigen Widerspruch gegen alle bisherigen Theorien gefunden hätten,
wäre da nicht ein anderer Forscher gewesen, der frech behauptete, der
beobachtete Effekt sei ganz einfach zu erklären. Er sei auf die
Anwesenheit von zwei benoppten Zertramper zurückzuführen. Der eine hätte
sich auf die Sonde zubewegt, der andere von Ihr weg. Ich hätte mich
ohrfeigen können. Immer auf die Idee fixiert etwas Schönes zu entdecken
hätt ich beinahe die Entdeckung des Schrecklichen verpasst! Die grässliche
Erkenntnis hätte aber dennoch ganz von mir Besitz ergriffen: Ja, es
existiert nicht nur ein genoppter Zertramper. Es wäre da noch ein
Zweiter! Sogleich kröche eine lähmende Frage in mein Gehirn: Waren es
schon immer zwei, oder hatte sich der genoppte Zertramper vermehrt? Eine
äusserst diffizile Angelegenheit. Denn ich müsste meinem Auftraggeber
und dem Volk die niederschmetternden Forschungsergebnisse überbringen und
doch diese beängstigende Erkenntnis gleichzeitig beruhigen, obwohl ich
sie eigentlich nicht wirklich verstünde. Was bliebe mir also übrig als
weiterzuforschen. Es stünde doch mit der neuen Erkenntnis die Idee im
Raume, dass sich die Daseinschance des Rasens gemindert hätte, im Masse
wie sich die Gefährung verdoppelt hätte. Doch es gäbe eine beruhigende
Ausflucht: Die Hypothese nämlich, dass der beobachtete Effekt nicht auf
eine Vermehrung zurückzuführen wäre, sondern auf einen Zerfall. Der
genoppte Zertramper sei möglicherweise in zwei kleinere Teile zerbrochen,
und er würde sich vieleicht weiter spalten und zerfallen, bis er
schliesslich seine vernichtende Kraft ganz verlöre. Doch dies müsste
zuerst noch genauer untersucht werden, wozu selbstverständlich massig
Geld benötigt werde, um die Forschungsarbeit zu finanzieren. Nehmen
wir an, ich wäre ein absolutes Genie. Ich würde herausfinden, dass sich
der Zertramper weder vermehre noch in zwei kleinere identische Teile zerbräche.
Ich bewiese, dass in der Zeit der Katastrophen sich schon immer jeweils 23
Einheiten mit je zwei genoppten Zertrampern gleichzeitig auf dem Rasen
befunden hätten und noch heute befänden. Die Bedrohung wäre also
konstant geblieben. Durch die Forschung aber sei die Bedrohung nun in
ihren Einzelteilen klarer ersichtlich als je zuvor. Ich unterschiede sogar
die 23 Einheiten in zwei Gruppen zu elf Spieler und einen Schiedsrichter.
Und entdeckte weiter, dass da noch ein einzelner unbenoppter, weit weniger
schädlicher Zertramper anwesend wäre. Ich würde das runde Objekt einen
„Ball“ nennen, weil in seinem Umfeld jeweils eine Häufung von
Katastrophen aufträte. Obwohl selbst völlig unschädlich, wirke er wie
ein Magnet auf die genoppten Zertramper. Schliesslich aber ginge mir ein
Licht auf dass die 23 Leute eigentlich seinetwegen herumtrampten. Und auf
dem Klimax meiner Geisteskraft erahnte ich, dass diese Zertramper offenbar
nach gewissen Regeln handelten, die in signifikantem Zusammenhang standen
mit dem An- und Abschwellen der Lautstärke im Umfeld des Rasens und in
extremis mit einem exorbitanten „Goooal!“ - Gebrüll, das bei seltenen
Ereignissen im Mittelteil der kürzeren, sich gegenüberliegenden Seiten
der Rasenfläche auftrat. Nun - ich wäre bereits ein geachteter Forscher
- kurz vor meinem Tode, fasste ich die Früchte meines Schaffens in der
Poesie des dankbaren Alters folgendermassen zusammen: "Zwei
befeindeten Gruppen von Rasengöttern dienen wir als Spielhain. Mit den
benoppten Enden ihrer Wurzeln bewegen sie tödlichen Schrittes eine Kugel,
in ständigem Kampf, diese durch das Tor des Schicksals zu schieben, wo
ein Wächter mit seinen Blätterhänden versucht, die herangeschleuderte
Kugel am Eintritt zu hindern." Dann
verwelkte ich. Ich schlüpfte aus meiner blassen, kalten Leichenhaut.
Erstaunt betrachtete ich den früheren Ort meines Wohnsitzes. Ich sähe
meinen Körper wie ein verlassenes Haus, aus welchem ich eben gezügelt wäre,
abgereist ohne nähere Angabe. Es wunderte mich, wie wenig ich da
eigentlich zurückgelassen hätte. An der Himmelspforte würde alles, was
ich gelernt hätte in meinem Leben - ich denkte, dass es nicht eben viel wäre
- , gelöscht. Dies wäre nicht so schlimm, denn nächste Generationen
forschten weiter. Mein
Erbe war keineswegs heilig. Die Nachfahren kritisierten an meinem
Hauptsatz diese bebenkliche, fatalistische Haltung, durch welche eine
existentielle Bedrohung zum Schicksal degradiert wurde und man warf mir
vor, ich hätte die Frage unterdrückt, weshalb zu einem solchen Spiel
ausgerechnet Rasenpflanzen geopfert werden müssten. Es bestünde ja
zwischen dem Opfer des Rasens und dem Spiel der Zertramper kein
ersichtlicher Zusammenhang. Ebensogut könnte dieses Spiel doch auf einem
Reisfeld oder in einer Kiesgrube stattfinden. Und vor allem sei von mir -
bei allem Respekt - vernachlässigt worden, dass die Zerstörungen durch
die Zertramper keineswegs untätig hingenommen werden müssten, Nein, eine
grosse Zahl von Möglichkeiten gäbe es, die Rasenpflanzen zu schützen.
Dabei könnten sowohl passive Schutzmassnahmen ins Auge gefasst werden,
die auf die Beendung des Spiels zielten, durch Entnahme oder Vernichtung
des Balls zum Beispiel, als auch aktive Schutzmassnahmen, indem
beispielsweise kleine Bunker oder Unterstände gebaut würden, in deren
Schutz sich die Rasenpflanzen bei Beginn einer Katastrophe begeben könnten.
Man
nahm also zügig den Bau von betonierten Schutzräumen für die Rasenbevölkerung
in Angriff. Die Idee war so bestechend, dass ein Hindernis für ihre
Realisierung zwar nicht übersehen, aber doch masslos unterschätzt wurde.
In den Budgetdebatten war zwar von diesem Hindernis die Rede und man
verwies immer wieder auf es, man verwies aber auch darauf, dass keine Zeit
verloren werden dürfte, dass dieses Hindernis die baulichen Massnahmen ja
nicht beträfe und dass die Forschung dieses ungelöste Problem in nützlicher
Frist entwirrt hätte, ganz bestimmt aber bis zum Abschluss der
Bauarbeiten an den unterirdischen Versuchsbunkern. Das Schwierigkeit
betraf die Fragestellung: Wie kann eine Rasenpflanze in einen Bunker flüchten,
während sie fest im Boden verankert ist? Man begann sogleich daran zu
forschen und aber auch den Pilotversuche eifrig voranzutreiben. Ein
Experiment sollte den Bewies erbringen, dass ein Rasenleben auch ohne
Kontakt zur Oberfläche möglich wäre. Dazu wurden künstliche Sonnen in
einem hermetisch abgeriegelten Schutzraum montiert, Luft- und Wasserzufuhr
durch aufwendige Technologien geregelt und Erde in den Bunker gebracht.
Als bei der nächsten Rasenaussaat ein Same in den Bunker gebracht wurde,
gab es für die Rasengemeinschaft kaum ein anderes Thema mehr als das
erwatungsvolle Bangen: Würde der Same in diesem Bunker wirklich überleben?
An einem spielfreien Tag war die Frage beantwortet. Ja! Die Keimung des
Rasensamens im Experimentalbunker wurde live via Wurzelnetz übertragen,
Es brach eine richtige Hysterie aus. Es schien, als ob ein Riesenschritt
in eine ganz neue Aera der Rasenheit gelungen wäre. Doch leider wurden
die Rasenpflanzen, die direkt über dem Bunker wuchsen, immer noch
zertrampelt, und die Kosten der Einbunkerung waren so immens, dass Zweifel
an der Realisierbarkeit aufkamen. Dazu auch Neid und Missgunst. Das
Privileg der einen geschützten Rasenpflanze im Bunker wurde zum Ärgernis.
Hätte man da doch alles Geld verlocht um eine einzige Pflanze zu schützen,
während die Mehrheit weiterhin schutzlos geblieben geblieben sei. Im
Nachhinein merkte man dann, dass in diesem Falle gegen das ethische Gesetz
über die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen verstossen wurde. Es
setzten sogleich Beruhigungskampagnen ein. Und sie wurden sozusagen gekrönt
durch den Tod des Rasenastronauten im Bodenbunker. Die Pflanze war da
durch Befall eines Schimmelpilzes verendet. Kritische Stimme behaupteten
danach allerdings, das Experiment hätte ja nie wirklich stattgefunden.
Alles sei blosse Erfindung gewesen, Einbildung, eine fiktive Medienshow.
Es standen letztlich Aussage gegen Aussage und beide Thesen waren nicht
schlüssig zu beweisen. Für eine Klärung der Anwürfe bestand jedoch
auch kein Interesse mehr. Wie dem auch sei. Man konnte nun die Kräfte
konzentriert der Hauptfrage zuwenden, die ja noch immer ungelöst war. Wie
kann ein ganzer Rasen entweder als Kollektiv oder jede Pflanze individuell
sich vom Boden wegbegeben und auswandern? Eine wagemutige Vorstellung, die
aber den Zeitgeschmack präzise traf. Bereits existierten zum Thema des
Ortswechsels bemerkenswerte Ansätze. Der interessanteste war zweifellos
die sogenannte Topftheorie. Sie besagte : Falls es einer Rasenpflanze
gelingen könnte, sich in ein Gefäss zurückzuziehen, welches
„beweglich“ ist - was für ein kühner Gedanke - müsste die Pflanze
damit auf dem Rasen und darüber hinaus auf den Tribünen, den Parkplätzen,
in den Gassen und auf den Feldern „umhergehen“ können, fast wie ein
benoppter Zertramper. Der Begriff der „Bewegung“ allerdings, überforderte
die geistige Vorstellungskraft der Rasenmehrheit bei weitem. Und die
Theorie der „Relativität des Ortes“ musste dem Gros der Rasenheit als
eine Ausgeburt übertriebener Phantasie erschienen sein. Dennoch blieb ein
Gedanke haften: Es sollte also vielleicht das Wunder möglich sein, als
Pflanze lebendig von einem Ort zum einem anderen zu gelangen, ohne dass
man dabei austrocknete, starb und einging? Dann wären doch die
Rasenpflanze endlich ihren Peinigern ebenbürtig, ja gottgleich. Und
etwas, was der Rasen selbst ja nur vermittels seiner Fortpflanzung mit
seinen Samen bewerkstelligen konnte, auch dies aber nur mithilfe starken
Windes, bestimmt aber nie in der Lebenszeit einer Pflanze. Der Gedanke an
die Überwindung der Unfruchtbarkeit, ja, an den lebendigen Vollzug von
Fruchtbarkeit war ein überaus mächtiger Motor für den Enthusiasmus der
Rasengemeinschaft. Die Relativitätstheorie des Ortes oder populär
Topftheorie genannte basierte ursprünglich auf Erkenntnissen der
Anthropologie, der Menschenforschung, einer Art von Theologie an den
Universitäten der Rasengesellschaft. Die Menschenforschung war zwar zunächst
eine ganz und gar unwissenschaftliche Richtung, die sich vornehmlich auf
Analyse und Interpretaion der Rasenmythologie stützte. Aus ihr
entstammten Geschichten, die davon erzählten, dass Menschen in Häusern
Pflanzen in Töpfen hielten, in einem Gefäss aus Ton, in welches Erde
eingefüllt würde und in welches ein Same gegeben würde. Diese Pflanzen
könnten von den Menschen mitsamt ihres Topfes umhergetragen werden, zum
Beispiel von einem Haus ins andere oder vom Balkon in den Keller. Die
Herkunft solcher Märchen war mehr als nur vage. Lange Zeit wurde über
diese Ideen gelacht, bis eines Tages im Elfmeterraum des nördlichen Tores
über Nacht mehrere Quadratmeter voll ausgebildete Rasenpflanzen wie ein
Teppich entrollt und mit den angrenzenden Rasen verbunden und im Boden
verankert wurden. In fiebriger Eile suchte man sämtliche Informationen
dieser Rasenpflanzen zusammenzutragen, denn das nächste Spiel nahte und
das Gebiet im Elfmeterraum glich danach oft einem Schlachtfeld des
Grauens, übersäät mit den Leichen zertrampter Rasenpflanzen. Soviel
erfuhr man noch, bis der Anpfiff erschallte: Dieser Rasen stammte aus
einer sogenannten Gärtnerei, die sich auf die Anfertigung von
Rasenziegeln spezialisiert hatte. Der Rasen war in einem Treibhaus
gewachsen, dann mitsamt der Erde eingerollt und mit einem Lastwagen bis
ins Stadion gekarrt, dort von unbenoppten Zertrampern abgeladen und im
Elfmeterraum entrollt worden. In der gleichen Gärtnerei soll es ganze
Gestelle mit Tontöpfen geben, in denen Pflanzen wüchsen, zum Beispiel
auch ein ganzes Treibhaus voller Plastikschalen, in welchen sogenanntes
„Katzengras“ gezüchtet würde. Was dieses Gras allerdings mit einer
Katze zu tun hätte wäre ein Rätsel, vielleicht, weil die nicht
gestutzten Blätter der Gräser an die Ohren der Katzen erinnerten. Fast täglich
würden aus diesem Treibhaus lastwagenweise Schalen mit ausgewachsenem
Katzengras abtransportiert und neue Schalen mit frischer Erde gefüllt und
darin Rasensamen sorgfältig zugedeckt und bewässert. Es sei überhaupt
erstaunlich, mit wieviel Liebe die unbenoppten Zertramper sich um das
Wohlergehen des Rasens kümmerten, berichteten die
Rasenziegelrasenpflanzen. Ihre Berichte über die Gärtnerei waren ein
einziges Loblied. Wie aber sollte dem ahnungslosen Rasenziegelrasen die
Gefahr des Fussballspiels erklärt werden, welches in wenigen Minuten
angepfiffen zu werden drohte? Man beschloss, aus moralischen Erwägungen,
die unschuldigen Neuankömmlinge nicht mit der Apokalypse zu ängstigen.
Als die Rasenziegelrasenpflanzen jedoch immer ängstlicher zurückfragten,
weshalb man solche Eile habe, alle ihre News zu erfahren, war klar, dass
ein paar benachbarte Gräser schon gesungen hatten. Die ganze Rasenheit
fragte sich hernach mit unverhohlener Wut weshalb nach soviel liebevoller
Pflege der Rasen als Ziegel ausgerechnet an die gefährdetste Stelle
gepflanzt würde, wo das zuvor sorgfältig Gehegte doch sogleich den
benoppten Zertrampern zum Opfer fallen musste. Die Katstrophe kam und war,
wie immer, nicht abzuwenden. Doch danach schienen alle Märchen bestätigt,
welche von der Topftheorie zitiert wurden. Es gab also solche Töpfe. Man
müsste also nur in einen solchen hineingelangen, und einem ungenoppten
Zertramper begegnen, der sich bereit erklären würde, die Rasenpflanze
nach ihren Wünschen mit dem Topf zu bewegen. Es gab uralte Gerüchte von
den Wiesen und Feldern und einer ganzen Fabelwelt ausserhalb des Stadions.
Sie wurden ultramodern durch die Verheissung, sie bald besuchen zu können.
Mit solchen wilden Spekulationen war endlich das ganze Kommunikationsnetz
des Rasens auf sämtlichen Kanälen erfüllt. Es herrschte ein riesiges
Bedürfnis nach allem, was „Bewegung“ hiess, ein Begriff, der
erwiesenermassen von den wenigsten im Kern erfasst wurde. Wenn aber eine
Mehrheit etwas nicht versteht, darf jeder darunter verstehen was er will.
Und diese immense Meinungsfreiheit gipfelte in einer Flut von Beliebigkeit,
Information. Wenigstens einen handfesten Effekt konnte den unverbindlichen
Fiktionen und Utopien nicht abgesprochen werden: Sie machten die Angst vor
den Katastrophen, die wie eh und je und in gleichbleibender Heftigkeit den
Rasen heimsuchten, einigermassen erträglich. Weil aber in kompetenten
Kreisen geahnt wurde, dass man für die „Bewegung“ auf unbenoppte
Zertramper angewiesen wäre, die in fast allem, ausser ihrer Kleidung und
ihren Schuhen, den Benoppten ähnelten, wandte man sich nun mit Vehemenz
erneut der Erforschung der Zertramper zu. So entdeckten nächste
Forschergenerationen völlig Neues in alten Schriften und definierten
Begriffe wie "Offside", "Penalty", "Tor",
"Foul", Durch die Dechiffrierung des Anpfiffs als Signal des
Spielbeginnes konnten die Rasenpflanzen eines Tages sogar gewarnt werden.
Doch weil man immer noch nichts gegen die nachfolgenden Katastrophen
unternehmen konnte, wurden die Warnungen verboten. Der ganze Rasen wäre
dadurch ja nur in Panik geraten, und zu recht rasend geworden, weil man
ihn warnte, ohne ihm zu sagen, was zu tun sei. Der Alarm hätte selbst wie
eine Katastrophe gewirkt, wie ein Stempel der Ohnmacht, weil er nur
bedeutet hätte: „Es ist jetzt wieder soweit!“ Also liess man das
sein. Stellen
Sie sich vor, welche gewaltigen Anstrengungen von ihren Nachfolgern in der
endlosen Generationenfolge der Rasenheit unternommen werden mussten, um über
die Dechiffrierung der menschlichen Sprache endlich herauszufinden, dass
das Drama des Rasens aus der Sicht der Menschheit nur ein Spiel ist, ein
Zeitvertreib aus lauter Langeweile, dass die Spieler Männer sind, dass
sie sich mit ihrem Gegenstück, genannt Frauen, vereinen und fortpflanzen,
dass sie sich gewisse Rasensorten halten zu ihrer Ernährung, Gerste, Mais
, Weizen, Hafer, Roggen Reis und Hirse, dass sie mit Autos herumfahren,
obwohl sie sich ja auch zu Fuss bewegen konnten, dass sie im Fernsehen
diese Fussballspiele anschauten, und dass sie sich dauernd irgendwelche
Fragen stellen: "Weshalb kann ich nicht auf Anhieb die richtigen 6
Felder des Lottozettels ausfüllen ?" , "Warum habe ich mich von
meiner Frau geschieden, obwohl ich sie liebte" oder "Wieso kann
ein korrupter, mordender, lügender Fettsack, der sein Volk ausbeutet,
sich selbst zum Präsidenten krönt, in Saus und Braus und Prunk und
Orgien lebt, während sein Volk verhungert, - weshalb kann er nach dem
Volksaufstand einfach nach Frankreich auswandern und dort unbeheligt in
einem Schloss weiterleben? ", die sich weiter fragen : " Was
sind das für seltsame Katastrophen, von denen ich immer wieder
heimgesucht werde?" "Warum? "
und "Wer bin ich überhaupt?", dass sie Raketen ins
Weltall schiessen und Atome spalten, Theorien entwickeln, die nichts
nutzen. Und dass sie auch nur diejenigen ungefährlichen Alarme dulden,
bei deren Erklingen man genau weiss, was zu tun ist.“ Wie
gesagt lebten Rasenpflanzen schon immer. In vielen vielen Generationen.
Man könnte also auch mit etwas Respekt vor den Vorfahren annehmen, dass
alle Grundlagen des Rasen-Seins bereits vollständig vorhanden sind und
eigentlich nichts zu erfinden ist, sondern lediglich zu finden. Ja, die
Erkenntnis dieses Vorhandenseins bedarf vom Heute aus betrachtet einer
gewissen Bemühung, sonst wird man zum Ignoranten der eigenen Herkunft,
was heute zwar normal ist aber deswegen vom Leben noch lange nicht
geduldet wird. Bei
allen Gemeinsamkeiten, die man als kleine Rasenpflanze mit den Menschen
empfand, nämlich das Gefühl des Ausgeliefert-Seins gegenüber
Katastrophen und Kriegen und Schlachten, galt es für die Rasige
Philosophie einen gewaltigen Fragekomplex zu klären: Warum können
Menschen, aber auch Tiere sich bewegen? Rasenpflanzen jedoch, ja, Pflanzen
überhaupt, nicht! Weshalb sind nur die Pflanzen durch ihre Immobilität
auf Gedeih und Verderb der Unbill eines Ortes ausgeliefert, an welchen sie
ohne Schuld gesät wurden? Wozu müssen die Kräuter das Schicksal mit dem
Ort teilen und können sich nicht von ihm wegbewegen, wenn ihnen da Gefahr
droht. Weshalb trifft überhaupt nur usn Schicksal? Ist doch Ort und
Schicksal für uns Rasenpflanzen nicht zu erlösen ausser durch
„Bewegung“. Die Menschen scheinen ja durch ihre Beweglichkeit
keinerlei Gefahren ausgeliefert zu sein. Wenn an einem Ort Gefahr droht,
marschieren sie einfach fort und lassen sich an Orten nieder, die Gutes
verheissen, zum Beispiel in Gärtnereien, wo sie gehätschelt und gepflegt
werden. Würden sie in den Elfmeterraum verpflanzt, gingen sie einfach weg
und brächten sich in Sicherheit. Alles nur behilfs ihrer Beweglichkeit,
der göttlichen Gabe zur Bewegung. Interessanterweise
die Menschen einen sich zu
schnell bewegenden Menschen als Raser. Was zu exotischen Spekulationen
Anlass gibt. Einige Experten vermuten, dass mit dieser Bezeichnung gemeint
ist, dass eben genau durch die Bewegung hinwiederum Unfälle und
Katastrophen passieren. Da diese an die Katastrophen des Rasens erinnern,
würden sie deshalb Raserei genannt. Wie aber solche Katastrophen zustande
kommen können, ist hinwiederum - gemessen an den seelischen Bedürfnissen
der Rasenheit - eine sehr spitzfindige, und unergiebige Fragestellung. Es
könnte ja die Rettung aus der Katastrophe durch Bewegung damit selbst
wieder zu einer Katastrophe werden können, und damit wäre nichts
gewonnen. Weit interessantere Ansätze versprach die Erforschung der
„Rasur“ und des „Rasierapparates“ im Vergleich zum Rasenmäher.
Denn komischerweise erschien in diesen Worten das Thema des Rasens plötzlich
mitten im Gesicht der Zertramper. Und ist unschwer zu erraten, dass sich
der Rasen mit dem Bartwuchs sehr gut identifizieren konnte. Ob vielleicht
das Mähen des Rasens mit dem nicht zugelassenen Bartwuchs des Mannes
eventuell sogar mit der Rasur der Körper- und Schambehaarung der Frau in
einer Beziehung stand? Durch
konsequenten Aufbau einer anthropologischen Fakultät an der
Rasenuniversität stieg der Wissensstand über den Menschen vermeintlich
stark an. Dies wurde unter anderem dadurch begünstigt, dass die
Rasenpflanzen sich eigentlich sonst um nichts zu kümmern hatte, als um
ihre Katastrophen und deren Verursacher. Weder mussten sie sich um den
Boden sorgen noch um Licht oder Wasser. Und auch wenn sie es getan hätten,
hätte es ihnen wenig genutzt, da sowohl das Licht, das Wasser als auch
der Boden nicht wählbar waren. Selbst um die Fortpflanzung musste sich
der Rasen im Geviert dieses Stadions nicht bemühen, denn es kam überhaupt
nie soweit, dass eine Rasenpflanze mal Frucht trug, da die Stengel, auf
denen die Aehren in früheren, längst vergessenen Zeiten einst getragen
wurden, ständig vom Rasenmäher geköpft wurden. Man musste erst mal
darauf kommen, dass es so etwas wie Fortpflanzung überhaupt theoretisch
geben könnte in einer Rasengemeinschaft. Allein schon die Idee, dass eine
Rasen selbst Ausgangspunkt neuen Rasens sein könnte, war als Gedanke
etwas belustigendes. Schliesslich stammte der Rasen hier nicht vom Rasen
ab, sondern vom Samen. Die Herkunft neuer Samen war unmöglich aus einer
der bereits lebenden Pflanzen herzuleiten. Wo allerdings von ausserhalb
des hiesigen Rasengeländes diese Samen herkommen mochten, war wiederum
Gegenstand einer heftig diskuttierten Frage: Existiert ein Ausserirdische
Rasen? Ein Rasen, der ausserhalb der Erde, also im Himmel wächst und von
dort den Samen niederrieseln lässt? Unter dieser Annahme aber müsste der
Himmel grün sein, wie ein Rasen und nicht blau. Daher musste der
ausserirdische Rasen in den feuchten Haufen der Wolken wurzeln, deren
Oberseite man von der Erde aus nicht sehen konnte. Dieses Credo war sehr
beliebt und so gut wie unwiederlegbar. Es fand Eingang in fast alle populären
Mythen über die Herkunft des Rasens. In den unpopulären Mythen fanden
sich hingegen auch Hinweise, dass auf denselben Wollken nicht bloss
ausserirdischer Rasen wuchs, sondern auch jegliche andere Pflanzeart, die
ihre Samen in die Rasengemeinschaft regnen liess. Einige dieser Fremdlinge
landeten mit Fallschirmen, als winzige Nüsschen in feinem, luftigem Gewölle,
mit Propellern, wieder andere wurden von Insekten herbeigetragen oder in
Exkrementen von Vögeln ausgemacht, die über dem Rasen ihre Notdurft
verrichteten. Mit sprachlogischer Konsequenz kann die Existenz eines
ausserirdischen Rasens nicht aufrecht erhalten werden. Es existieren ja
nur irdische Rasenpflanzen, deren Stammbäume zwar im Himmel wurzeln,
deren einzige Äste jedoch im Boden des Mailänder San Siro Stadions
endeten. Der Rasen ist also an sich irdisch und nur sein Samen
ausserirdisch. Unter der Annahme der Existenz eines ausserirdischen Rasens
müsste die Frage erlaubt sein, wie denn er sich, der ausserirdische Rasen
in den Wolken, fortpflanzt, und ob allenfalls die niederrieselnde Saat
bloss Abfall wäre einer ungewollten ausserirdischen Versamung, einer Art
von irrtümlich fruchtbarer Onanie. So müsste sich der hiesige Rasen in
Wahrheit empfinden als ursprungslos, unfruchtbar und daher gänzlich von
der Gnade der himmlischen Saat abhängig. Der Weiterbestand des Rasens, ja
jeder Gedanke an Tradition und Ahnenschaft muss daher über den Umweg des
Himmels dargelegt werden. Eine furchtbare Erniedrigung, die in der Mailänder
Rasenheit die Sehnsüchte nach einem Leben auf den Wolken schürt. Die
eigene Unfruchtbartkeit, Isolation und Abspaltung aus familiären
Zusammenhängen ist in diesem hermetisch abgeriegelten Waisenhaus nicht zu
verdrängen. Es ist eine fürchterliche Erkenntnis: Das Dasein in einer
zweckbezogenen Monokultur ist von einem Mitglied der Nutzgesellschaft
nicht logisch zu durchschauen. Nicht anhand faktisch belegbarerer
Tatsachen. Anders gesagt : Ein monokultureller, gemähter, unfruchtbarer
Rasen ist behelfs eigener Kriterien nicht zur Erkenntnis über sein
monokulturelles Wesen zu befähigen, da er keinen Einblick in seine
Herkunft hat. Die Verdachtsmomente kommen zwar in den Empfindungen der
Lust zur Bewegung, zum Auswandern, zur Fruchtbarkeit zu Tage, werden aber
auf der Basis des behüteten und geschützten Wachstums entkräftigt. Dem
Ursprungslosen ist das Massnehmen an eigener Tradition verwehrt. Alles ,
was sich als Hoffnung in die Zukunft, auf Fortschritt und Emanzipation
richtet, ist lediglich Indiz für eine Flucht aus der Gegenwart und damit
Zeichen des Unvertrauens in den Instinktes. Der Durchbruch des Verdrängten
erscheint in solchen Lebensformen immer als Revolte und damit als Rückzug
aus dem Nutzen. Der Zweck aber bildet die Grundlage der Existenz. Er will
also einerseits angenommen und aber auch andererseits durchschaut werden. Wir
haben gelernt, das Leben anhand von Katastrophen zu begreifen, die
Geschichte eines Volkes anhand von Schlachdaten zu verstehen und
Wanderungen aufgrund von Rast- und Ruheplätzen zu beschreiben. Im
ununterbrochenen Fluss der Zeit ist nichts fassbar. Das ständig Bewegte,
dynamisch sich Verändernde ist nur zu verstehen, wenn wir es zum Stehen
bringen, wenn wir es anhalten, eine Staumauer bauen, das Entgleitende mit
einem Nagel fixieren, um daran unsere Weltbilder aufzuhängen. Was wir mit
solchen Weltbildern allerdings abbilden, ist nicht mehr als das Ergebnis
eines verzweifelten Versuchs, das Vergangene, die Vergänglichkeit, unser
Vergehen zu verstehen: Ein dem Menschen ureigener verquerer Drang, mit
einem Standpunkt, einer Haltung, also in Stillstand vorwärtszuschreiten. Wir
wollen jetzt mal annehmen, dass die Pflanzen es tatsächlich geschafft
haben, sich mithilfe der Topftheorie und nachher auch mit der Topfpraxis
von ihren angestammten Orten zu entfernen und also nomadisierend in der
Welt umherzugehen vermochten als eine Art von Wanderrasen. Man könnte
hier zur illustration dieses Übergangs den Vergleich mit der Geburt
zitieren. Der Schritt vom verwurzelten Rasen zum Wanderrasen wäre etwa
der vom Fötus, der im Bauche seiner Mutter mit ihrer Plazenta fest
verbunden ist über das Wurzelwerk des Kreislaufes, zum Kinde das in der
Geburt seine verwurzelte Welt verlässt und in die unverwurzelte Welt
gelangt, im Moment der Abnabelung. Sagen wir doch gleich, dass der Rasen
als Wanderer ein mensch ist. Schliesslich hat er sich ja aufgrund der vom
Menschen ausgehenden Bedrohung zu diesem Entwickeln wollen. Für
die Bilder des Wanderrasens 2 geschichten : 1.)
Die Geschichte von der Entstehung der Wiesen. Einst
waren alle Kräuter Wandergesellen. Der Fingerhut war Schneider, der
Aronstab Hirte, Der Löwenzahn Automechanier und der Beifuss Hundezüchter.
Der stolze Heinrich kam sogar aus Amerika, wo er einst Taglöhner war und
die virginische Nachtkerze war Angestellte im Amt für Gaslaternen. Die
Brennessel war Kaminfeger, die Wegwarte Bahnangestellte, die Kratzdistel
war ein Vagabund. Der Wermut ein Bettelmönch. Sie alle marschierten auf
festgetretenen Pfaden über den brachliegenden, fein vorbereiteten aber
unbelebten Boden der kahlen unbewachsenen Welt. Kein Baum wuchs an den
Bergflanken, denn die Tannen waren noch Dachdecker und die Arven
Schlosser. Die Flussufer waren auch leer und öde, denn die Butterblume
war noch Käser, der Baldrian Psychotherapeut, das Johanniskraut
Lochkartenspezialist und der Hasenklee Kaninchenzüchter. Die Kräuter
gingen also mit ihren Spazierstöcken auf die Stör, wanderten auf Wegen
umher. da sah einst der leinbeGott die Zeit für gekommen und sprach zu
ihnen. „Ich habe Euch Wurzeln gegeben, nicht damit ihr mit ihnen dauernd
umherläuft, sondern dass sich jeder von Euch da in meiner Welt seinen
Platz suche, seine Wurzeln in den Bodsen scxhlage und wachse und sich
vermehre“. Da sprach das kanadische Berufskraut zu ihm. „ IWeshalb
hast Du uns nicht gesagt, wo wir wachsen sollen, wo wir gedeihen können.
Wer weiss, ob jedes Kraut den Platz auch findet, den Du ihm zugedacht
hast.„ „Ja, es ist eine Frechheit, uns nicht zu verraten, wo unser
Platz ist“ sprach die Kühchenschelle und bimmelte energisch mit ihrer
Glocke. „Sag, wie haben wir diese Bestrafung verdient“ erkundigt sich
die wilde Möhre. Und Gott sprach zu Ihnen : „Wie wollt ihr denn Euch
selbst erkennen und damit mich, weil ich euch so geschaffen habe, wenn ihr
schon gleich an Eurem Ort steht und gedeiht, ohne ihn suchen zu müssen?„
„Welche Spiele treibst Du mit uns „ mault das gemeine Leinkraut. Und
wie soll ich wissen, dass Du daran gedacht hast, dass an meinem Ort auch
Bienen leben können, die mir ermöglichen, mich forzupflanzen“. „Ja,
genau, fält der Sommerflieder ein.,“ und was ist mit den Hummeln und
Schmetterlinge, Kannst Du garantieren, dass sie auch da sind, wenn ich
Wurteln geschlagen habe. Schgau nur, wie ich ihnen mühsam nachgehe, damit
ich von ihnen befruchtet werde.“ „Genau,“
stimmte die Distel ein, „Hast Du an sie auch gedacht, dass wir sie
brauchen.“ Unter den Kräutern war aber ein Gras. Es hiess Mäusegerste.
Lange hatte es den Diskussionen der Kräuter zugehört, die sich an den
Quellen zu Gesprächen trafen. Da meldete es sich zu Wort und sprach.
„Ich bin ganz müde von der Lauferei, ich möchte mich jetzt endlich
irgendwo niederlassen. „ Da lachten die anderen , starlken Kräuter und
erwiederten : „Mäusegerste, tu was Dir beliebt. Hast Du nnciht gehört,
das Du Deinen Ort suchen solltest.“ „Ach was“ sprach die Mäusegerste,
„ich bin es satt, dauernd mit Euch von Ort zu Ort zu hetzten. Macht was
ihr wollt ich lasse mich jetzt hier nieder, da an dieser Hausmauer“ Und
die Mäusegerste verwurzelte sich im Boden an der trockenen Hausmauer des
Wirtshauses gleich neben der Quelle. Als das der Rettich sah, wurde er
ganz unruhuig und verwarf seine Blätter : „was ist nun, wenn dieser Ort
für eine andere Pflanze bestimmt war! Ich kann mich ja hier jetzt nicht
mehr niederlassen, da die Mäusegerste bereits ihren Ort eingenommen
hat.“ Der retich zerrte an den Blättern der Mäusegerste, als ob er sie
aus dem Boden ziehen wollte. Sie schlief da aber fest verabkert und schien
ganz zufrieden. „Beruhige Dich“ spürach das Johanniskraut zum Rettich
, „ Schau die Welt ist so gross, sie steht Dir doch ganz offen und wir
Kräuter sind überhaupt nie in der Lage, diesen ganzen Boden zu
bedecken.“ So
entstanden die Wiesen, die Matten, die Berge und Hügel. Einst
, als alle Kräuter und Bäume und Büsche, Moose und Farne ihren Platz
schon gefunden hatten, da blieb aber eine Pflanze übrig. Es war eine
kleine, gestutzte Rasenpflanze. Die wanderte nun immer noch ziellos umher.
Sie sagte :“ Woher soll ich wissen, wohin ich gehöre, wenn ich nicht
mal weiss, wer ich bin. Fast täglich wurde ich geschnitten und verstümmelt,
bis ich am Boden entlang wuchs. Alles wissen wir, aber uns scheint das Rätsel
am grössten, wo wir hingehören, wo doch fast jeder Platz jetzt belegt
ist von den anderen Pflanzen, Bäumen, Büschen und Kräutern, Moosen und
Farnen“. Der Rasen also ging die Wege auf und ab und konnte keinen Platz
finden, ja er konnte sich nicht einmal entschliessen irgendwo Rast zu
machen, so gross war seine Angst. Auch wollte er nicht in die Gärten,
Golfplätze und die Fussbalstadien zurückkehren, in denen er gestutzt
wurde. Da begegnete er auf dem Weg schliesslich einem einsamen Menschen.
Ihm klagte er sein ganzes Leid, erzählte von seinem tristen Dasein im
Sportstadion und seiner Angst dahin zurückzukehren, seiner Angst aber
auch sich überhaupt niederzulassen, nachdem es jetzt nach all den
immensen Anstrengungen seiner Voffahern möglich wurde, dem tödlichen
Zirkus zu entkommen. Da sprach der Mensch zu ihm: „Schau , mir geht es
doch ganz ähnlich. ich komme aus der riesigen Stadt. Einst war ich
Fussballer und hab da im Stadion gekämpft. Doch ich war in einer
Mannschaft, da wurde ich mein Leben lang nur benutzt, missbraucht,
abgeschnitten. Nichts mochte man mir gönnen. Selbst eine Frau konnte ich
nicht finden. Weder habe ich eine Familie, noch Nachkommen. Was wünschte
ich mir mehr als einfach nur
eine gute Frau und einen Sohn. So hab ich den Club und die Stadt in Gram
und Verzweiflung verlassen. Und erst jetzt, wo ich Dir begegne, bin ich
getröstet. Komm lass uns zusammen nochmals in die Stadt hinunter gehen.
Lass uns versuchen ob wir vielleicht doch einen Funken Eignung mitbringen
uns unterhalten zu lassen. Unser Schmerz muss doch zerstreut werden.„
Die beiden kamen in eine riesige Stadt. Kultur
in Katzenkloh Theaterstücke Da
sprach der Rasen. Ich kehre nun an den Ort zurück, wo ich Dir begegnet
bin. Dort werde ich mich verwurzeln, deinetwegen. Denn jetzt weiss ich was
es heisst, zuversichtlich zu sein. Mit diesen Worten entfernte sich die
Rasenpflanze und von da an wuchs an der Wegstelle, wo sich der einsame
Mensch und der Rasen begegnet waren eine grosse Ansammlung von Gräsern,
die Frucht trugen und sich vermehrten. Der Brennesselmann „Schön“,
dachte der einsame Mensch, „so schön möchte ich es auch haben wie die
Gräser. Sie können einfach Wurzeln schlagen, wo es ihnen beliebt. Ich
aber habe nur meine zwei Füsse und bin mein Leben lang auf ihnen wie ein
Heimatloser unterwegs.“ Da
unten ist ein Hof, den niemand willl. Voller Brennesseln ist er, keine Kuh
will dort weiden. Wenn Du ihn haben willst, sag an, was kannst Du geben.
Alles, was ich habe ist mein weniges Erspartes da in meinem Beutel. Er
breitete ihn aus. Es fanden sich dort einige Geldstücke, ein Stück Brot,
eine Flasche Wein und ein Buch. Lass mir alles hier und Du kannst den
Bauernhof haben. Aber sag mir, was ist das für ein Buch. Es ist eins, das
ich selbst geschrieben habe. Ich kann es Dir nicht geben, denn Du wirst es
nicht verstehen. Entweder Du gibst es mir, sprach der Bauer, oder Du
kannst den Hof nicht haben. Wer weiss, vielleicht kann ich einst mit dem
Buche etwas anfangen, wo doch Dein Geld keineswegs reicht, die Kosten zu
tragen die ich für den Hof bezahlt hatte. So willigte der Mann
schleisslich ein und zog in den heruntergekommenen Hof, der ganz umstanden
war von mannshohen Brennesseln. Die
Geschichte vom Brennesselmann. Zwei Protokolle. Erstes
über die Nahrung, Brennesseln essen. Ort finden. Brennessel sein,
Schmetterlinge, raupen 2.
über das wasser, Ortlosigkeit des wassers Als
Geschenk erhält er sein Buch : Die Wandtafeln in der Blindenschule. Einst
aber kam eine Frau zu ihm. Märchen erzählen. erotische. Naelaba Fingerprinzen Sie
ziehen in die Stadt. Berlin Ompfl Knospe Geschmack
von Heimat Nashorn Malkurs Schwangerschaft.
Schmetterlinge sammeln. Puppenharn.
Alishas Apotheke. Apokryphe Texte In
allen sogenannten Hochkulturen existiert die Idee eines Welt-Zentrums. Überall
sucht man auf dem Scheitelpunkt der Zivilisation den Mittelpunkt, den
Fundamentstein aller Erscheinungen dieser Erde. So wie die Seele im Körper
verwurzelt ist und der Körper lokalisierbar ist, so soll nach diesen
Vorstellungen auch die Seele der Welt, die Seele eines Volkes, einer
Nation, einer Religion an einem fixen Punkt zentralisiert sein, an einem
Nabel, einem Tor und Eingang zum Machtzentrum des Himmels und der Erde,
aus welchem einerseits alles hervorkommt, was diese Welt, Nation oder
Religion ausmacht, In welches aber andererseits auch alles, wie in ein
schwarzes Loch eingesogen und verschlungen wird, wenn die vernichtende,
zerstörerische Kraft des Nabels nicht gebändigt würde oder besänftigt,
durch Opfergaben und Anbetungen. Um dieses Zentrum dreht sich alles. Der
Omphalos soll fest und unverrückbar sein, wenn sich rundherum alles
bewegte, stabil im Wirbel des Himmels in den Zyklen von Tagen und Jahren
und auch in den Ereignissen des irdischen Lebens. Die Fixierung der
Energien von Himmel und Erde, auf einen Ort, markiert einen Wechsel in der
Betrachtung der Welt als ein begrenztes Gebiet und bezeichnet den Wandel
vom nomadischen Unterwegssein in die Sesshaftigkeit. Von der Bewegung zur
Verwurzelung. Mochte es einem Beduinenstamm noch genügen sich wegen einer
Quelle, einer Oase, aufgrund geeigneter Jagdgebiete oder hinsichtlich
einer guten Weide mit den Zelten für eine bestimmte Zeit an einem Ort zu
verweilen, bedurften feste Niederlassungen weitergehender Motive. Solche nämlich,
die ein Weiterziehen ausschliessen und den Aufbau einer sesshaften
Existenz bestätigen: Eine Bewusstheit über den definitv richtigen Ort.
Es galt eine Wahl zu treffen für die Gründung einer Ansiedlung an einem
Ort und dazu mussten Kriterien geschaffen werden. Diese wiesen alle auf
einen Mittelpunkt, den es alsdann festzuhalten galt. Die Zeit als
Kriterium für den Aufenthalt an einem Ort musste aus der Gleichung
eliminiert werden. Der weltweite Altar der Mutter Erde wurde zu einem
zentralisierten, geomantisch definierten Tempel. Dieser Wechsel dauerte
lange. Er fiel zusammen mit dem Beginn der Urbanisierung, und markierte
die Abkehr von mindestens einem Teil der Menschheit von der direkten
Verbindung und Gemeinschaft mit der Erde. Ohne Bewegung des Mittelpunktes
aber musste solchen festen Wohnformen die Empfindung folgen, dass hier
nicht mehr der Mensch Mittelpunkt seiner Welt sei, sondern dass sein Ort
bestimmt sei von den Qualitäten einer viel gewichtigeren äusseren örtlichen
Gegebenheit. Um aber zentrifugale Kräfte in einer festen Stadtgründung
zu verhindern, mussten bindende Kräfte entwickelt werden für die
Bewohner einer solchen Stadt. Die Zivilisation bezeichnet diesen Prozess
der Ein- und Anbindung der Menschen an einen festen Ort. Für die
schmerzliche Empfindung seiner Fixierung an einen Punkt musste die
Gemeinschaft die ganze Welt ausserhalb der Stadtmauern in ihrem Inneren
rekonstruieren. Es entstehen also in weltlichen Gesellschaften und in
ihren Städten immer nur Bilder für dasjenige, was den eigenen Verlust trösten
soll. Die
unglaubliche Machtentfaltung der Städte geht einher mit der Kreierung
dessen, was im städtischen Menschen in der Erinnerung versunken und
gefangen ist. Die Bilder des verlorenen, versunkenen Paradieses Atlantis
drängen nun in die Welt und Atlantis soll wieder gebaut werden. Mythos
soll zur Realität gemacht werden. Zunächst zwar leben die griechischen Götter
ja noch auf einem Berg. Dem Olymp. Bald aber sind ihre Heiligtümer in den
Metropolen die eigentlichen Götterberge, beispielsweise auf der Akropolis
in Athen. Und ausgerechnet Hephaistos, der Hinkende, der von den übrigen
Göttern verhöhnte Gott, Pluto, der als einziger keinen Zutritt zum Olymp
hatte, wird Schirmherr all dieser Versuche, eine Konkurrenz zum Götterberg
Olymp zu erschaffen, einen Götterort, zu welchem sich der Mensch selbst
Zutritt verschafft durch eine selbstgeschaffene Hierarchie der Heiligkeit.
Im Pluto kommt somit die Wut und Enttäuschung über die verweigerte Zugehörigkeit
zur erhabenen Götterrunde als Zweifel daher. Der Gott muss sich nun
selbst beweisen, dass er einer ist. Er bietet den Menschen seine Hilfe an,
um die himmlischen und irdischen Energien seiner Götterkollegen zu bändigen,
diese zu unterwerfen unter den Willen der Menschen. Damit würde er dann,
der Hinkende, seinen Trost darin finden, als einziger Gott noch ungebändigt
über den Menschen und die Welt zu herrschen. Und alles, was durch ihn
erschaffen würde trüge das Signum der Macht über die Gewährung von
Zugehörigkeit oder Ächtung. Das Thema findet sich in der Geschichte
zuhauf, zuletzt mit dem Hephaistos Hitler. Dasselbe Muster erkennen wir
auf dem erhöhten Platz des Felsendoms und dem Berg Golghata in Jerusalem.
Aus der Mythologie des im Berg verborgenen Göttlichen wird nun ganz plump
und handfest eine Übertragung in die äussere Welt gewagt. Und von da an
haben die Götter in diesen Häusern des Menschen Platz zu nehmen und
nicht mehr umgekehrt. Wenn
heute in der Esoterik versucht wird, solchen „Orten der Kraft“ eine
kollektive Bedeutung zuzusprechen und damit der Ort selbst gemeint ist,
geht die Urerfahrung des Ortes als Begegnung in der Erinnerung verloren.
Es heisst dann, dass allen anderen Orten eine Eigenschaft abgesprochen
wird, nämlich die, der Kraft und des Heils, dass die Erde überhaupt nur
an solchen „Orten der Kraft“ ganz sei. Die Gegenwart Plutos ist an
solchen Orten leicht auch an einem eigenartigen Ritual der Menschen
abzulesen. Was tut der heutige, moderne Pilger, wenn er auf seinen Reisen
einem solchen Ort begegnet? Er fotografiert oder filmt. Das ist nichts
anderes als ein Nachvollzug dessen, was hier geschah, damit überhaupt
eine Burg, ein Tempel, ein Pilgerort entstehen konnte. Ein inneres Bild
musste an der Erde befestigt werden. Der Tourismus hat es soweit gebracht,
dass diese Orte nun in einer Art und Weise abgeklappert werden, dass man
es nur als Begaffung bezeichnen kann. Durch
diese neu erfunden Kraft, sollte der energiegeladene neue Geist des
Platzes für immer fixiert und zugänglich gemacht. Damit ist auch das
Herumziehende jetzt geächtet. Es beinhaltet die wahre Bedrohung für den
Hinkenden. Alles, was seinem bannenden Netz entwischt, durch seine Maschen
entkommt stellt seine Macht in Frage. Seine Frau ist Aphrodite. The Beauty and the Beast. Der Liebhaber der Aphrodite
aber ist Mars. Aphrodites Achtung vor Mars ist weit grösser als die zu
Hephaistos. Pluto als der Zudeckende. Spiderman. Nachdem er zuvor
vielleicht normalerweise nur
einmal pro Jahr den Ort besucht hatte. War er einmal stabilisiert, so
wurde die Umgebung bald erneuert um die Eigenschaft des Ortes zu
verbessern. Und es wurde ein ständig wachsender Komplex von Tempeln angefügt
um ihn aufs äusserste zu nutzen. Das Wort Omphalos heisst
"Nabel". Es wird heute gebraucht für alle göttlichen
geomantischen Zentren. Das Wort stammt ursprünglich vom Omphalos von
Delphi, Sitz des Orakels von Apollo und Zentrum der griechischen Welt. Die
Legende besagt, dass der Ort geheiligt wurde durch Zeus, der zwei Adler
(oder Schwäne) aussandte um den wahren Mittelpunkt der Welt zu bestimmen.
Ein Vogel wurde in Richtung Westen freigelassen, der andere gegen Osten.
Wo sich ihre beiden Wege kreuzten, in Delphi, wurde der Omphalos
definiert. Der Stein, der ursprünglich diesen Punkt markierte wurde mit
Sicherheit schon in einer früheren Periode als heilig betrachtet. Es war
ein unbearbeiteter Stein oder baitylos, Symbol der Gottheit. Gemäss
Strabo wurde die Legende von Zeus verdeutlicht in der Form von zwei
goldenen Adlern, die an den Seiten des Omphalos angemacht waren. Der Stein
war zu dieser Zeit elliptisch und mit einem Netzmuster überzogen. Den
Omphalos-Stein von Delphi findet man in zahllosen Abbildungen auf
griechischen Münzen und Vasen. Das auf ihm deutlich zu sehnde Netzmuster
ist Hinweis auf eine Beteilgung von Hephaistos, von Pluto, der sein Netz
über die Urkraft des Mars geworfen hat. Dieses Netzmuster ist auch auf
anderen Steinen angebracht, welche wichtige geomantische Orte markierten.
Es wurde gefunden auf elliptischen keltischen Marksteinen in Irland und
Deutschland, und auch in den überlagerten Mustern auf Piktischen,
keltischen und Sachsischen Stehkreuzen aus Stein. Die Muster symbolisieren
das Anschirren oder Einfangen der Energien dieses Ortes, Kräfte die überall
als Schlangenkraft bekannt waren. Später wurden dann diese Muster oft
gezeigt mit einem Drachenkopf. Der
römische Autor Varro vergleicht die Form des Omphalos mit einer
"Schatzkammer", mit diesem Wort bezeichnete man normalerweise
primitive Kuppelgräber (zum Beispiel
die Schatzkammer von Atreus in Mykene , wie sie von Pausanias
beschrieben wurde). Weil
dieses am Ort des alten Orakels der Erdgöttin errichtet war, ist der
Vergleich passend. Unter dem Omphalos, sagt die Legende soll nämlich
Python begraben sein, der Schlangengeist der Erde, der von Apollo, dem
Sonnengott, getötet wurde. So sass also Apollo auf dem Omphalos, auf dem
Grab seines Vorgängers. Die Erdenergie, die früher frei war und nur
einmal im Jahr an diesem Ort erschien, wurde von den Anhängern des
Apollo-Kultes fixiert, als die Naturreligion der Mutter Erde verdrängt
wurde. Gemeinsam mit den Griechen, verbanden auch andere Kulturen diese
Energie mit der Schlange oder dem Welt-Drachen. Diese ungebändigte
Energie wurde fixiert bei der Festlegung des Omphalos, das heisst im
Moment wo der Pflock oder Dorn in den Boden getrieben wurde während der
Gründungszeremonie. In geodetischen Begriffen wurde eine wandernde
Wasserader von aussergewöhnlicher Stärke gezwungen permanent an einem
Ort zu bleiben in der Nähe des Pfahls. Bei allen Omphalos-Legenden wurde
mit Nachdruck die Ordnung über das Chaos gelegt, um die wankelmütigen,
ungebändigten Kräfte der Schlange an einem speziellen Punkt
festzumachen. An diesem Punkt konnten die Energien angezapft und
kanalisiert werden zum Wohle der Menschheit. Tankstelle. In
der Mythologie war das Festmachen dieser Energien abgebildet als tödlicher
Kampf, nicht leichtfertig unternommen, dessen Ausgang ungewiss war. Der
kleine Mensch gegen die massiven Kräfte der Erde. Die Erinnerung diese
lebensgefährlichen Begegnung überlebten bis heute in den westlichen
Legenden von Sankt George, Beowulf, Siegfried, St. Martha, St. Michael und
unzähligen wohlwollenden Riesen. Symbolisch durchsticht der Sonnenheld
den Drachen mit dem Pfeil, Speer oder Lanze. Das Schwert von Sankt
Michael, die Lanze von St. George oder der Pfeil von Giganten wie Drachentöter
Piers Shonkes aus Hertfordshire, alle repräsentieren den Pflock oder
Pfosten, der den Drachenkopf durchstösst und ihn unbeweglich festmacht am
Omphalos. So wurden die Kräfte von Sonne und Erde vereint an einem
bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit, und so wurde die Macht des Ortes
bestimmt. Die
Zeit der Fixierung musste wegen der Natur dieser Kräfte mit der äussersten
Sorgfalt gewählt werden, jeder Irrtum hätte ein schlimmes Schicksal
bringen können, was vor allem diejenigen betraf, die sich unbefugt mit
den altehrwürdigen geomantischen Arbeiten beschäftigt haben. Als Ort von
aussergewöhnlicher Energie, war es auch ein Verbindungspunkt zwischen dem
irdischen und himmlischen. Aus diesem Grund wurde der Omphalos auch ständig
geschützt vor Missbrauch indem man ihn mit einem Stein bedeckte, einem
Altar oder einer anderen Struktur, welche den Nichteingeweihten den
Zutritt verwehrte. Dieser Zugang war nur denen erlaubt, die das Wissen und
die geistige Reife besassen um die mächtigen Kräfte, die ihnen zur Verfügung
standen, nicht zu missbrauchen. Nun
wurde viel böses über Hephaistos berichtet. Es soll aber auch etwas zu
seiner Ehrrettung gesagt werden. Man muss sich vor der Gefahr in acht
nehmen zu meinen, man sei selbst einer der Götter auf dem Olymp und der
andere sei der Hephaistos. Die Rollen ändern im Lauf der Planeten
blitzschnell und es ist die Frage nach den aktuellen Aspekten, die
zuweilen den Hephaistos in unserem Tun erscheinen lasen und manchmal den
Mars, Neptun oder die Aphrodite. Die Gefahr der Identifikation mit einer
einzelnen Figur aus der Mythologie kann nicht gross genug geschrieben
werden. Manch einer meinte er sei Zeus oder Apoll oder Aphrodite.
Identifikation ist doch Ausdruck unseres Selbstbildes. Die Widersprüche
zwischen unseren Gebeten und unserem Tun sind dafür ein nicht zu übersehndes
Indiz. Eine selektive Weltsicht vergisst, dass die mythologischen
Geschichten in ihrer Gesamtheit in uns ablaufen und dass auch alle
Figuren, die da erscheinen Aspekte unseres Daseins sind. Im
Märchen vom Rotkäppchen müssten wird das unmögliche versuchen, Rotkäppchen,
Grossmutter, Wolf und Jäger in einer Person zu sein. Und die Geschichte
als Verlauf einer Konstellation zu betrachten. Es kann also in der
Mythologie nicht eigentlich um die Frage von Gut und Böse gehen. Wir
verteren als Menschen ja selbst weder das eine noch das andere. Heute
las ich in der Zeitung von einem Hochhaus in Reinickendorf, das traurige
Berühmtheit erlangt dadurch, dass dort schon einige Menschen zu Tode stürzten.
Es scheint unheimlich wichtig zu sein, diese Todesstürze, eines 18-jährigen
Mädchens, einer 28 jährigen schwangeren Frau, einer 30 jährigen Frau
eines vierjährigen Knaben in freiwillige und unfreiwillige Stürze
einordnen zu können. Als ob durch die Lösung der Frage, wer hat sich
willentlich hinuntergestürzt, und wer wurde bloss Opfer eines Unfalls eine
Klärung ergeben könnte. Die Dreissigjährige, so hiess es war depressiv.
Damit ist auch gesagt, dass an diesem Fall keine Rätsel haften. Es ist ja
bekannt, dass sich Lebensmüde und Depressive gerne von Brücken und
Staumauern und Türmen stürzen. Der vierjährige Knabe war aus dem
Fenster gekrabbelt. Sein Tod ist als tragischer Unfall nun Gegenstand
baulicher Erwägungen. Die beiden Mädchen, die in den Tod sprangen,
berühren die eigenen Ängste weit mehr. Zwar konnte man die Umstände
ihrer pubertären Schwierigkeiten in Betracht ziehen. Aber es gibt doch
geläufigere Methoden des Selbstmordes als den Sprung von genau diesem
Haus, dem höchsten Wolkenkratzer in Reinickendorf. Nun droht das Gebäude
in den Ruf eines Todeshauses zu kommen. Und mit jedem weiter Todessturz
scheint es den Charakter eines Wallfahrtsortes für Bungyjumper ohne
Gummiseil zu erlangen. Die Mieter erklärten in Interviews, sie hätten
ihre Kinder angewiesen, vor dem Betreten des Hauses nach oben zu schauen,
damit sie nicht von einem herabfallenden Körper verletzt würden. Eine
Frau gab zu Protokoll, ihre Tochter sei um ein Haar von einer der
Todesspringerinnen getroffen worden. Das zuletzt verstorbene Opfer dieses
Sprunghauses war ein 16-jährges Mädchen. Es musste in der vergangenen
Nacht mit dem Lift bis zum Dachgeschoss gelangt und von dort in den
Abgrund gesprungen sein. Das Mädchen war nur mit einer Hose und einem BH
bekleidet. Der Vorfall erinnert mich an ein Haus in einem Zürcher Vorort
in Spreitenbach. Und auch an die Bilder von 1929 als beim Big Bang in New
York die bankrotten Broker scharenweise aus den Fenstern sprangen und auf
der Wallstreet zerschellten. Die Ausweglosigkeit muss im Bild des Hauses
einem Brand der unteren Stockwerke gleichkommen, einem Towering Inferno.
Der im Haus überraschte Bewohner wird vom Brande, der aus dem Fundament
aufsteigt und in die Höhe züngelt, schliesslich aufs Dach getrieben, wo nur der Sprung in den Abgrund ihm die Pein des Ganges durch die
Flammen erspart. Im Bild der Brücke scheint diese einen Menschen während
des Überganges überrascht zu haben. Von beiden Brückenköpfen her
frisst sich der Brand zur Mitte, wo er schliesslich auf das Geländer
steigt, um der versengenden Hitze mit dem Sprung zu entgehen. Hier noch
viel eher Sinnbild für die Gefangenschaft in einer verlorengegangenen,
verbrannten Beziehung zwischen den Ufern. Der Brand der Luzerner Brücke
und die Koinzidenz mit dem Selbstmord Niklaus Meienbergs kann dies auf
sonderbare Weise illustrieren. Auf den verkohlten Überresten dieses ältesten
Stegs, der die von der Reuss getrennten Stadtteile verband, nahm er eine
Woche vor seinem Freitod nochmals als Journalist Augenschein. In bissiger
Ironie entlarvte er die Krokodilstränen, die über den Brand des
Wahrzeichens vergossen wurden. Wie sehr musste er sich da selbst gesehen
haben, als der, der für seine apokalytische Schilderung des vierten
Weltkriegs als Folge des Golfkrieges für nicht zurechnungsfähig und
spinnsinnige Meienberg. Eine fürchterliche Entzündung zu beiden Seiten
seiner Verankerung. Der für ihn nicht erklärbare Überfall, durch den er
seine körperliche Unversehrtheit schliesslich verlor, als unschuldig
Kriegsversehrter. Wohl ahnte er, was dieser Brand als Lebensbild für ihn
bedeutete, den Unterbruch eines Übergangs, Verlust einer Beziehung, Riss
eines Fadens. Beiden Bildern ist gemeinsam, dass Rückkehr zum sicheren
Boden nicht mehr möglich scheint. Was aber springt denn da von den Dächern und Brücken? Es scheint, als ob eine zwingende Ausscheidung, die im Menschen verstopft ist, den ganzen Menschen mitreisst. In einem Körper des Zeitgeistes, der das Leben als etwas Unnützes ausscheidet, kann letztlich das Leben nur durch die Ausscheidung des Nützlichen bestehen. Wo dieser Konflikt im Menschen drin zum Kampf zwischen seiner Empfindung und seinem Körper eskaliert, und dieser Kampf nicht ausgetragen wird, wird schliesslich in der Entzündung der Empfindung der Körper geopfert, um die Empfindung zu retten.
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