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Samstag,16.9.1995 Thomas
und ich auf dem Flughafen Tegel. Flügel aus Blech. In der Lounge ein
aufgeschnittenes Triebwerk als Modell. Wir sitzen im Restaurant. Gelsemium
C 200 gegen die Flugangst. Thomas geht auf die Toilette. Angstbisi. In
meinem Feuerzeug sieht man das Gas. Es ist da flüssig und auch eine
grosse Luftblase ist im durchsichtigen orangen Gehäuse sichtbar. Das
Feuerzeug hat zwei Kammern. Wenn ich es waagrecht halte, ist es eine
Wasserwaage. Die Blase kann sich zweiteilen, in jede der beiden Kammern
gelangen. Ich drehe das Feuerzeug und schaue der Blase zu. Als Thomas von
der Toilette zurückkommt erzähle ich ihm, was ich da gesehen und gedacht
habe. Da ist also Gas drin und es ist flüssig und wenn man das Rädchen
über den Feuerstein dreht erscheint eine Flamme. Sie brennt. "Wenn
man in das Gas homöopathisch ein Mittel einfüllen würde, dann wäre das
also das Fernsehen der Gestalt dieses Mittels. So müsste das heute
gemacht werden. Die Zeit der Homöopathie ist abgelaufen." Es
erschreckt mich, dass wir so miteinander reden und uns sogar dabei
verstehen können. Dieser Schrecken ist noch ein Rest der Geborgenheit,
die in unserer Begegnung liegt. Und auch geteiltes Leid darüber, dass wir
damit einsam sind, verloren das runde Flughafengebäude durchkurven und
uns unterhalten darüber, dass ich nicht zuviel wissen will, damit ich es
noch tun kann und er nicht zuviel tun will, um sich am Wissen zu erfreuen.
Freude ist bei allen Gegensätzen so verbindend. Man trifft sich auf der
Wiese zwischen dem Gewollten. Der eine von der Seite, der andere von
dieser Seite. Da stehen wir dann und könnten auch anders, aber wir wollen
nicht. Wegen dem "Wollen". Vielleicht wenn wir müssten. Unter
Zwang sozusagen. Aus Trotz es dann doch tun. Nur um dem Zwang zu
entwischen. Dann genau nicht mehr wehren, nicht mehr trotzen. Der Zwingli
würde uns vielleicht endlich erscheinen und uns zwingen zum Ungewollten.
das könnte er dann aber nicht, weil wir uns ja gar nicht wehren wollen.
Wenn wenigstens ein Zwang da wäre, den man noch Ernst nehmen könnte. Wer
aber sollte uns zwingen, etwas zu erklären, was niemand wissen will. Wir
sind es ja, die sich ungeborgen fühlen unter all denen, die das nicht
verstehen. Die andern nicht. Dass man sowas nicht verstehen kann ist
unglaublich. Und man denkt dabei, dass es die meisten eben nicht verstehen
wollen. Das ist peinlich. Peinlich für uns. Wie sag ich's meinem Kinde?
Ich hätte vieles begriffen, wenn man nicht versucht hätte, es mir zu
erklären. Wir
haben jetzt also ohne Nutzen und ohne Absicht und völlig unsinnig und
ungewollt ein Mittel in der Hand. Mekonium heisst das, Puppenharn. Das
ganze homöopathisch C 30. Dreissig mal habe ich hundert Tropfen Alkohol
in ein sterilisiertes Fläschen gezählt, dann ein Tropfen der letzten
Potenz dazugegeben und zehn mal geschüttelt. Mekonium C 30. Und
jetzt? Das ist doch schon alles gemacht und gedacht. Ist
es nicht verückt. "Wir könnten jetzt entscheiden, wir machen eine
Firma, produzieren dieses Mekonium, füllen es in Fläschchen, mit dem
Bild der Schmetterlinge drauf, schreiben einen Leitfaden "Welcher
Schmeterling bin ich?" Dann organisieren wird einen Vertrieb.
Californien oder L.A. wären zum Beispiel kaputt genug. Mars- Saturn sagt
doch niemandem etwas. Man muss sagen es hilft gegen Allergien, Pickel,
Depressionen, Unfruchtbarkeit, gegen Krebs und Aids also gegen alles. Und
wir würden ja nicht mal lügen wegen dem, was wir da sagen würden. Es hätte
einfach mit uns dann nichts mehr zu tun, aber gelogen wäre das nicht.
Aber wir haben es ja nicht gedacht als Mittel gegen etwas. Es soll doch
ein Mittel für etwas sein. Doch
das zu erklären? Und ob man das dann noch will? Man
will sich immer selbst zuvorkommen. Dem Tun mit dem Denken. "Das täte
ich jetzt gerne, aber ..." und dem Denken mit dem Tun, "Wenn ich
das gewüsst hätte ..." Nun aber, da ich es weiss, kann ich das
nicht mehr tun. Nur Neues, Anderes noch. Man tut immer das, was in den
Zwischenräumen zwischen dem Tun und dem Denken noch wächst. Dieses Tun
ist eine Nische des Ungewollten. Eine Peinlichkeit. Es
ist nicht das Tun peinlich und nicht das Denken. Peinlich ist das
ungewollt getane, das beim Nachdenken erscheint und peinlich ist auch das
ungewollt gedachte, das beim Tun erscheint. Davon leben wir, von dieser
Peinlichkeit. Es
gibt Bilder für dieses peinliche. In Berlin ist es der Mauerstreifen.
Eigentlich lebt die ganze Stadt von ihm, weil da nichts getan und nichts
gedacht wird. Er liegt brach. Alles, was man da tun könnte wird bedacht
und das ungewollte daran lädt zum Vergessen ein. Nein, die Wiese da ist
nicht vergessen. Im Gegenteil. Sie ist so sehr Teil unseres Lebens, dass
sie unberührbar ist. Deshalb wächst dort etwas heran, was die Wut und
Enttäuschung zuerst zur Peinlichkeit führt und vor lauter Betretenheit
kann man dann den Garten des Ungewollten kaum mehr betreten. Sonntag
17.9.1995 Spaziergang
mit Eltern, Azita und Alisha.Ein lautes Schweigen hat mich erfasst. So
auffällig kann man Nichts sagen. Neben dem eigenen Vater hergehen durch
die tristen, aufgerissenen Strassen an den in Baugerüsten verpuppten Häusern
vorbei. "Es gibt noch viel zu renovieren". Die Mutter hat immer
den Blick für das, was getan werden muss. Alisha hängt in einem Beutel
vor meinem Bauch und schläft. 21 Tage ist sie alt. Das Kamel trägt sie
durch die sonntäglich bevölkerte Pracht. Schmetterlinge kurven im warmen
Sonnenlicht. Über den Steg beim Bodemuseum betreten wir den Flohmarkt am
Kupfergraben. Ein Gewimmel von Leuten. Sie rieseln wie Sandkörner den Ständen
entlang. Alles alte Bücher. Die Überlebenden. Das alte ist ein
Faszinosum. Erinnerungsarbeit. Drei Generationen. Tradition zu kaufen.
Gekauft, gehasst, verkauft, fortgeworfen, vermisst, geliebt, gekauft.
Jeder Umgang verdünnt. Erinnerungen halten die Dinge am Leben. Wenn sie
abrechen, verschwinden sie. Thomas sagte mal : "Der Wal kann nicht
aussterben solange es das Wort Wal noch gibt". Das ist die Kraft der
Erinnerung, die Macht des Mythos. Ein Wort ist noch überiggeblieben und
in ihm hat sich das Leben ein letztes Kistchen geschaffen, um über das
grosse Wasser der Flut zu treiben, bis aus ihm eine Taube wieder Land
findet, wo das verpuppte wieder aus der Worthülle schlüpfen kann. Noahs
Harn. Alte Bücher haben etwas Anflehendes, wie die Frau an der Anklamer
strasse. Diese zerfurchte, verdörrte, verblichene Greisin, die den ganzen
Tag am Fenster steht und das Vorbeigehen beobachtet. Es ist unglaublich,
dass es für sie auch ein heute geben soll. Ein Jetzt. So
seh ich meinen verstorbenen Grossvater, wie er am Fenster sitzt und durch
die Vorhänge über den Garten vor dem Haus auf die Strasse schaut und zum
Rössli hinüber. Wer geht da ein und aus. Woher kommt der Bus mit den Ländlerfreunden,
die ihre Kinder in das kleine Tufertschwiler Disneyland schicken? Auf der
Wiese, wo früher Zwetschgenbäume standen, wurden Schiene verlegt für
eine Spielzeugeisenbahn. Eine Schauckel , ein Plastikkrabbelrohr. Die
ganze Peinlichkeit des Lebens beschaute sich mein Grossvater. Gross war
sein Staunen über den Gang der Welt, dass sich das Dorf so verändern
konnte. Die Katholiken gingen sogar mit den Reformierten in die Schule. Heuberger
s Sekzeugnis hat mein Vater zerrissen. Im Alter von 66 Jahren. Beim Zügeln
sei es ihm in dei Hände gekommen. Das hätte ihn so aufgeregt, dass er es
zerriss. Er war der einzige Reformierte in der Sekundarschule. Heuberger,
der Lehrer, hat ihm immer wieder vorgehalten, was das für eine
Schweinerei der Reformierten gewesen sei, all die Bilder zu zerstören und
aus den Kirchen zu nehmen. "Was konnte ich dafür,“ fragte mich
mein Vater , „war ich dafür verantwortlich?" . Die Katholiken hätten
dafür alle Stechpalmen in den Wäldern abgeschnitten für den Palmsonntag
und über die Jonschwiler erzählten sich die Reformierten gerne die
Schildbürgergeschichte von den Maienkäfern. Eines Tages hätten sich die
Jonschwiler entschieden, alle Maienkäfer einzusammeln. Die Bewohner schwärmten
mit Kesseln und Gläsern aus. Sie schüttelen die vollgefressenen Käfer
von den Bäumen. Dann schüttete man sie in ein grosses Holzfass. Das
verschlossene Fass wurde in die Kirche gebracht. Da verurteilte der
Pfarrer die Maienkäfer zum Tode. Dann brachte man das verschlossene Fass
in einer Prozession zum Jonschwiler Felsen und warf es über den Abgrund
in die Thur hinunter. Da schlug das Fass aber auf einen Felsen auf,
zerbrach und alle Käfer flogen davon. Für
ein Krähenei zahlte die Gemeinde 20 Rappen für ein paar Krähenfüsse 50
Rappen. Die Scherrers seien besonders schiesswütige Kerle gewesen. Sie hätten
jeweils altes Brot mit Schnaps getränkt und auf die Felder geworfen. Die
Krähe wurden betrunken und man konnte sie dann von Hand einsammeln,
totschlagen und ihre Füsse zur Gemeinde bringen. Weshalb die Krähen so
verhasst waren konnte mein Vater nicht sagen. Alles
alte Geschichten. Heute steht in Tuferschwil eine Schaukäserei. Ein
Alpendisneyland hat sich auf die grosse Wiese unterhalb des Hauses meiner
Grosseltern ausgebreitet. Da kommen jetzt die Städter mit Bussen. Die Büsser
kommen. Bauernleben wird vorgeführt. Eine Kuh, ein Bauer, ein Käser, ein
Schweinestal. Alles Theater.
Gegen Eintritt. Sei
nich traurig Grossvater. Du hast nichts falsch gemacht. Dein lebendiges
Gesicht und selbst die heute zum Kitsch vergärte Mühsal Deines Lebens
ist bis nach Berlin gekommen. Und selbst da gibt es noch Wiesen, wie Du
sie noch kanntest. Deine
Urenkelin ist 21 tage alt. Ja, Grosi, Deine gütigen Augen und deine
warmen, roten Wangen glühen noch heute. Und der Bräker Ulrich steht
daneben und sagt :"Alles wie gehabt, Nur die Bühnenbilder haben
etwas gewechselt." Wie kann man heute noch Bauer sein? Meine Kühe
fliegen. Bauer bin ich nicht. Eher Hirte.Ein Stadthirte. Meine Kühe sind
die Schmetterlinge. Ich lebe von dem, was sie mir geben. Seelenmilch.
Daraus mach ich Rahm und Butter und Käse. Weshalb
hat das niemand gemerkt? Das ist doch nicht schwer, sowas zu sehen. Das
Idyll des Waldes im Winter, in welchem ich Dir al Knobli helfen durfte,
Fallholz zusammenzuschlepen, auus dem Du die Büscheli für den Winter
machtest. Das Idyll ist noch da. Es trügt nicht in meinem Herzen. Da
nicht. Mir scheint, dass Deine Sehnsüchte mit mir mitgekommen sind.
Kannst Du verstehen, dass ich schweige? So unnütz wie mein Tun in dieser
Welt scheint. Als meine Eltern mein Atelier besichtuigten, wagte ich kaum
von all den Dingen zu erzählen, an denen ich denke, die ich da hüte. Und
von meinem Käse, dem Mekonium, das ich als Stadthirte meiner fliegenden Kühe
von der Wiese terschüttelt habe zu einem Nichts mit Etikett. Wie kann da
in solchen Fläschchen etwas drin sein, wenn doch nichts drin ist für
diese Welt? Wie sag ich's meinen Eltern? Mit
dieser Stadt habe ich doch nichts zu tun. Nur mit dieser Wiese gleich
neben meinem Haus. Man muss das zuerst mal merken. Hab ja auch gedacht ich
sei hiergekommen, wegen der Stadt, wegen der Galerien, wegen der
Kulturmetropole, weil ich dachte, dass da ein Einkommen für Azita und
mich und jetzt für Alisha zu erhalten sei. Nun aber merk ich, dass mein
Einkommen von dieser Wiese kommt, auf der die Hunde scheissen, wo in einem
versteck zwischen Bernnesseln die Penner auf der Flucht übernachten, wo
die leergetrunkenen Bierflaschen liegen, die weggeworfenen Schueh und
Kleider, Bretter. Der ganze urbane Kompost auf dem Acker des Unnützen. Da
bin ich Hirte. Und ch kämpfe dafür, meine Aufgabe ernst zu nehmen, wenn
alle lachen. Das Gefühl kennst Du sicher auch. Und mein vater het mir mal
eine Szene beschrieben. Deine Frau musste arbeiten gehen in Bütschwil in
einmer Stickerei. Grosi ist zu Fuss von Tuferstchwil zu Fuss nach Lütisburg
gegangen. Und mein Vater sass als kleiner Junge auf der Treppe vor der
Eingangstüre des "Grüebli"-Hauses und hat gewartet bis sie
abends nach hause kam, zu Dir und Euren sechs Kindern. Du kennst das Gefühl,
alles zu geben an Deinem Platz und nicht zu schauen, was man dafür erhält.
Auch wenn keine Kuh mer Dir gehörte, sie gehörten alle den fetten Viehhändlern,
die sich in Lichtensteig am Markt trafen und bündelweise Geld im Sack
hatten. Du kennst das Gefühl, dass Deine Kinder in die Stadt gingen, dass
meine Eltern mich da in Zürich Daniel tauften und nicht Heinrich. Ja, der
Daniel, den Du kanntest, war vielleicht ein Schlufi, er war reich und fiel
von seinem Pferdewagen und wurde arm und nicht mehr gesund. Und schau, ich
bin vielleicht auch ein Schlufi und auch vom Charre gheit, aber man kann
die Wiesen nicht hassen, weil sie einem nicht das geben, was man für sein
Leben braucht. Die Wiese kommt zurück und hilft dann, wenn Du sie
wirklich brauchst, dann, wenn sie niemand mehr will, wenn sie niemand mehr
braucht, wenn sie aufgegeben ist, unnützer bracher Boden. Genau dann
kommt sie wieder. Mitten in Berlin. Und da wächst jetzt der stolze
Heinrich (Natterwurz). Für Dich war dieser stolze Heinrich noch ein
Unkraut, das deine Kühe gemieden haben. Meinen Kühen aber dient der
stolze Heinrich als himmlisches Futter. Das ist mein Stolz, wenn ich
respektvoll an Dich denke.
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